"Rechtlich wird es so sein, dass die Landeskirchen ihren Gemeinden empfehlen, die neue Lutherbibel für den Gebrauch im Gottesdienst zu verwenden", erklärt Stephan Goldschmidt, Gottesdienstreferent der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Geschäftsführer der Liturgischen Konferenz. Die Lutherbibel 2017 ist von Oktober 2016 an die gültige Ausgabe. Das Manuskript der von 70 Theologinnen und Theologen revidierten Luther-Übersetzung wurde im September 2015 feierlich an die EKD als Herausgeberin überreicht.
Symbolträchtig und nicht zufällig zelebrierte man die Übergabe auf der Wartburg, wo Martin Luther einst das Neue Testament übersetzte. Denn Ziel der aktuellen Revision war nicht etwa, die Bibel in modernes Deutsch zu übersetzen, sondern – neben dem sorgfältigen Abgleich mit den Urtexten – wieder näher an Luthers Sprache heranzurücken. Deswegen schauten die Experten bei ihrer mühevollen Arbeit nicht nur in die jüngste Ausgabe von 1984, sondern auch in den Text von 1912 – die letzte Revision, die nicht auf modernere Sprache ausgerichtet war – und sogar in Luthers "Ausgabe letzter Hand" von 1545. Sie wollten den vertrauten und poetischen Klang seiner Formulierungen erhalten oder wiederherstellen.
Neue Bibeln für alle
Ein überarbeiteter Bibeltext mit neuem Schriftbild und Einband – das ist für das kirchliche Leben, für Gottesdienst und Bibelkreis eine bedeutsame Veränderung. Wie erreicht nun diese neue Bibelausgabe die Menschen und ihre Glaubenspraxis?
Für Gemeinden druckt die Deutsche Bibelgesellschaft zwei spezielle Ausgaben mit dem revidierten Text. Die "Gemeindebibel mit Apokryphen" ist mit 19,99 Euro zwei Euro günstiger als die Standardausgabe, obwohl sie mehr Text enthält. Sie ist 14 mal 21,4 Zentimeter groß, blau eingebunden und auf der Rückseite mit dem Eindruck "Eigentum der Gemeinde" versehen. Diese Bibel, schreibt die Deutsche Bibelgesellschaft, gehöre zur "Grundausstattung für Kirchen und Gemeindezentren". Extra für das Vorlesen im Gottesdienst wird es die "Altarbibel mit Apokryphen" geben. Sie ist 18,3 mal 28 Zentimeter groß, in graues Leinen eingebunden, zweifarbig gedruckt in Schriftgröße 12 Punkt und praktischerweise mit drei Lesebändchen versehen. Weil diese Bibel stolze 150 Euro kostet, hat der Verlag gleich ein "Widmungsblatt zur Nennung der Stifterin/des Stifters" eingearbeitet.
Bei den Nachbarn, in der Evangelischen Kirche von Westfalen, bekommen alle Kirchengemeinden, die das wollen, im Herbst 2016 eine Altarbibel geschenkt – mit Widmung von Präses Annette Kurschus. Ähnlich macht es die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck: Dort werden neue Altarbibeln nicht nur auf Antrag an die Gemeinden geliefert, sondern sie soll auch in Andachtsräumen von Kliniken, Diakonischen Einrichtungen und Justizvollzugsanstalten ausliegen. In der Württembergischen Landeskirche haben die 1337 Gemeinden insgesamt 1800 Altarbibeln bestellt. "Unsere Überlegung war, dass wir den Gemeinden, die das wollen, eine Lutherbibel schenken, so dass dann einheitlich nach Möglichkeit aus der Lutherbibel gelesen wird", erklärt Frank Zeeb, Referatsleiter für Theologie und Gottesdienst.
Warten auf die neuen Predigttexte
Mancherorts wird allerdings im Gottesdienst aus schönen alten Lutherbibeln vorgelesen, diese Gemeinden dürfen ihre Tradition natürlich fortführen und müssen nicht die neue Lutherbibel 2017 benutzen, sie "würden sich vielleicht ein bisschen zwangsbeglückt vorkommen", meint Frank Zeeb. Auch viele Gemeinden der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers besitzen noch alte Schmuckstücke aus Ur-Ur-Omas Zeiten, die unter dem Kreuz einfach schön anzusehen sind, wenn auch kaum noch jemand die Frakturschrift flüssig lesen kann. Die alten Altarbibeln seien mehr oder weniger Verzierung – oder auch ein Symbol, "um zu zeigen: Das, was uns als Kirche zusammenhält, ist das Wort Gottes", sagt Klaus Grünwaldt, theologischer Referent im Landeskirchenamt.
Zum Vorlesen werden Altarbibeln in der Hannoverschen Landeskirche nicht unbedingt gebraucht, denn in den Gottesdiensten werden – anders als in Württemberg – Lektionare verwendet. Das sind die Bücher, in denen alle Bibeltexte für die Sonn- und Feiertage in der richtigen Reihenfolge abgedruckt sind. Zum Kirchenjahr 2018/19 werden die Gemeinden, die Lektionare benutzen, neue anschaffen müssen. Nicht wegen der Lutherbibel-Revision, sondern weil momentan auch die Perikopenordnung erneuert wird, das ist die Liste der vorgeschlagenen Predigttexte und Lesungen. Eine Testphase ist abgelaufen, die Ergebnisse werden zurzeit ausgewertet, und in zwei Jahren sollen die neuen Lektionare mit den neuen Perikopen aus der Lutherbibel 2017 bereitstehen. Möglicherweise warten manche Gemeinden bis dahin und bestellen neue Bibeln und Lektionare erst 2018 in einem Rutsch.
Luther klingt "manchmal auch sehr frisch"
Geschenkt bekommen die Gemeinden der Hannoverschen Landeskirche jedenfalls nichts. Das Kirchenamt bietet momentan an, Sammelbestellungen mit Rabatt zu organisieren, doch "die Gemeinden gehen da ziemlich zögerlich drauf zu", sagt Klaus Grünwaldt, der hinter dem Zögern allerdings noch einen anderen Grund als das Warten auf die Lektionare vermutet. Aus einigen Gemeinden hat er Vorbehalte gegenüber der "Lutherbibel 2017" wahrgenommen. "Ständig wird nach außen transportiert: Wir bewegen uns in der Revision zurück in Richtung 1912. Und da sagen viele: Das kann doch nicht wahr sein."
Pfarrer Andreas Kahnt, Vorsitzender des evangelischen Pfarrerverbandes, sieht einen viel profaneren Grund für das Zögern vieler Gemeinden, nicht nur in Niedersachsen: das Geld. Zumindest für die "Klassensätze" in den Gemeindehäusern sei es fraglich, ob sofort "Luther 2017" in den Regalen stehen müsse. "Das sind ja immerhin so mindestens 25 Bibeln, da werden vielleicht manche sagen: 'Luther 84 ist ja nicht verkehrt' und mit dem Klassensatz weiterarbeiten", meint Kahnt. Konfis müssen ohnehin eine eigene Bibel besitzen, manche benutzen im Unterricht Luther 1984 oder auch ältere Übersetzungen, "da kann man den Text ganz schön vergleichen, das ist manchmal ganz interessant", findet Kahnt. Ähnliche Erfahrungen hat er in Bibelkreisen gemacht: "Da bringt ja sowieso jede Person ihre eigene Bibel mit, manche sind noch in alten deutschen Buchstaben geschrieben, andere sind immer brandaktuell – da müssen Sie das nehmen, was vorliegt."
EKD-Gottesdienstreferent Stephan Goldschmidt vermutet trotz all dem, dass die neuen Bibeln keine Ladenhüter werden. "Insgesamt rechne ich schon damit, dass die Neugierde auf diese neue Lutherbibel hoch ist und man sich die auch gerne anschafft." Zumindest eine für das pastorale Arbeitszimmer und damit auch für die Predigt. Denn oft tragen Pfarrerinnen und Pfarrer eine eigene Bibel auf die Kanzel, und zwar die Übersetzung, die für ihre Gemeinde in der konkreten Situation am besten passt – sei es Luther, die Hoffnung für alle, die Bibel in gerechter Sprache, die Basisbibel, Buber-Rosenzweig für das Alte Testament oder sogar eine selbst angefertigte Übersetzung des griechischen oder hebräischen Textes. Luther selbst – offenbar ein Perfektionist – hörte damit übrigens zeitlebens nicht auf. Zwischen 1522 und 1545 schrieb er das Neue Testament immer wieder um. Gerade seine frühen Übersetzungen, findet Stephan Goldschmidt, "klingen nicht älter oder altbacken, sondern manchmal auch sehr frisch".