Hannes hält sich an diesem Tag zurück und raucht eine seiner selbstgedrehten Zigaretten. Weiter vorne drängen sich andere Menschen um den kleinen Brunnen. Es mutet ein bisschen an wie die biblische Speisung der Zehntausend: Jeder möchte zuerst etwas haben. In diesem Fall ein Glas Wasser. Es sind Mitglieder der Kirchenvorstände aus den umliegenden Gemeinden oder anderen sozialen Einrichtungen. Sie alle haben ein Zuhause, wo sie den Hahn aufdrehen können, dann sprudelt es.
Diesen Luxus hat Harald nicht. Er ist seit 25 Jahren obdachlos. Seit 15 Jahren ist der gebürtige Saarländer in Bremen. Hartz IV oder andere Sozialleistungen bezieht Harald nicht. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit Betteln oder dem Sammeln von Pfandflaschen. Zwei bis drei Euro von dem, was er sich zusammenschnorrt, gibt Harald für Trinkwasser aus. Der gleiche Betrag kommt nach seinen Worten für's Waschen und Duschen zusammen.
Nun können Harald und die anderen Obdachlosen immerhin an zwei Stellen in der Bremer Innenstadt auf einen Knopf drücken. Am Eingang des Gemeindezentrums Unser Lieben Frauen etwa. Dort gibt es seit Freitag vor Pfingsten einen kleinen Brunnen, an dem sich vor allem die Menschen ohne Dach über dem Kopf mit Trinkwasser versorgen können. Ein zweiter Brunnen ist an die katholische Probsteikirche St. Johann gebaut worden.
Katholiken und Protestanten hätten beides zusammengeplant, sagt Sabine Hatscher, Sprecherin der Bremischen Evangelischen Kirche. Erste Gespräche habe es vor zwei Jahren gegeben. Der Brunnen von Unser Lieben Frauen habe sich wegen der benachbarten Baustelle der Bremer Landesbank verzögert.
Natürlich könnten alle anderen Menschen beide Brunnen ebenso nutzen, nicht nur die Obdachlosen, meint Harald Schröder. Er ist Streetworker der Innenstadt-Gemeinden und kümmert sich um die Menschen ohne Obdach. Harald Schröder hatte die Brunnen-Idee. Er erinnert sich: "Ich begleitete einen Obdachlosen. Er sammelte Pfandflaschen, verschwand damit in einem der Verbrauchermärkte und kam mit Wasserflaschen zurück." Dies habe ihn erstaunt, und der Obdachlose habe ihm davon erzählt, wie schwierig es ist, an Trinkwasser zu kommen.
Harald Schröder berichtet überdies von einem ehemaligen Obdachlosen. Er habe bei Durst aus Pfützen trinken müssen. Frei zugängliche Trinkwasserstellen seien für die Betroffenen überlebenswichtig. Zwar gebe es in der Bremer Innenstadt 15 Brunnen. Dort aber fließe kein Trinkwasser oder sie seien durch Vogelkot verdreckt.
Harald, der Obdachlose, nickt, während sein Streetworker bei der Einweihung des neuen Brunnens davon erzählt. Harald und seinesgleichen hatten bis vor einigen Jahren noch die Möglichkeit, die öffentlichen Toiletten in der Stadt zu benutzen. Doch die sind aus Kostengründen abgebaut worden. Stattdessen können Menschen mit einem dringenden Bedürfnis in eines der Lokale gehen.
"Nette Toilette" heißt die Aktion, die es in vielen Städten in Deutschland gibt. Für ihre Kosten durch den erhöhten Wasserverbrauch und das Reinigen erhalten die Gastronomen eine Entschädigung. Für das Stadtsäckel ist es gut. "Aber für uns Obdachlose ist es schlecht", sagt Harald, "wir sind in den Lokalen nicht gerne gesehen." Das sei geschäftsschädigend, geben er und Streetworker Harald Schröder die Sicht der Gastronomen wider.
Inzwischen hat sich die Menschenmenge vor dem neuen Brunnen gelichtet. Streetworker Harald Schröder nutzt die Gelegenheit, um einen Blick in die Zukunft zu werfen. Er schätzt, dass die Obdachlosen das neue Angebot von Unser Lieben Frauen erst dann nutzen werden, wenn sich die Stadt gelehrt hat. Vor allem dann, wenn keine Touristen mehr zwischen den Sehenswürdigkeiten umherlaufen. Die Obdachlosen "werden Flaschen auffüllen, sie werden mit Bechern kommen und sie werden aus der Hand trinken".
Ähnliche Erfahrungen gibt es mit dem Brunnen an der St. Johann-Kirche. Auch dort, inmitten von Bremens Touristen-Flaniermeile Schnoor, trauen sich die Obdachlosen erst dann zum Brunnen, wenn alle anderen Menschen fort sind. Streetworker Harald Schröder berichtet von einer Nonne des benachbarten Franziskanerklosters: "Sie hörte es abends immer Klacken." Am Fenster habe die Schwester beobachten können, wie sich die Menschen dort mit Trinkwasser versorgen und sich waschen. "Genauso wird es hier sein", ist auch Harald überzeugt.
Er und sein Streetworker finden, dass Bremen mehr in Sachen Trinkwasser für Menschen ohne Obdach tun müsse. Diesbezüglich seien andere Städte wie Frankfurt und Berlin weiter. "In der Hauptstadt gibt es an vielen Stellen Wasserspender", weiß Harald Schröder, "in Südeuropa sowieso. Dort gehört es zur Kultur."