Das zentrale Beweismittel, das Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still, sei nicht verwertbar. Die Entscheidung stieß bei Politikern und Opfervertretern auf Unverständnis und Fassungslosigkeit. Die Staatsanwaltschaft Duisburg, die vier Mitarbeitern der Veranstalterfirma Lopavent und sechs Bediensteten der Stadt Duisburg unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorwirft, legte sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein.
Zweifel an Unparteilichkeit
Das Landgericht Duisburg moniert in seinem 460 Seiten starken Beschluss "gravierende inhaltliche und methodische Mängel" in Stills Gutachten und äußert Zweifel an seiner Unparteilichkeit. Die Einholung eines neuen Gutachtens sei im Zwischenverfahren gesetzlich untersagt, hieß es. Andere tragfähige Beweismittel lägen nicht vor.
Dagegen erklärte die Staatsanwaltschaft, die Entscheidung sei "nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft". Der Gutachter habe nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Planung und Genehmigung der Loveparade der Kapazität des Zugangstunnels keine Beachtung geschenkt worden sei und dadurch das tragische Geschehen herbeigeführt wurde. Sprecherin Anna Christiana Weiler kritisierte zudem, dass das Gericht keinen zweiten Gutachter beauftragt und die Verfahrensbeteiligten nicht frühzeitig auf Bedenken hingewiesen habe.
Das Landgericht bemängelt an dem Gutachten unter anderem, dass Still sich bei den Unglücksursachen lediglich auf örtliche Begebenheiten beschränke und andere mögliche Ursachen nicht berücksichtige. Nach Ansicht der Richter kommen als Ursachen aber nicht nur Planungs- und Genehmigungsfehler, sondern auch spätere Maßnahmen wie Polizeiketten oder die unterlassene Schließung der Zugangssysteme infrage. Weiter erklärten die Richter, das Gutachten enthalte inhaltliche Widersprüche. Der Brite Still habe zudem deutsche Normen der Veranstaltungsplanung nicht berücksichtigt und deutsche Rechtsbegriffe falsch verwendet.
Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender betonte, Aufgabe eines Strafprozesses sei das Feststellen einer individuellen strafrechtlichen Schuld, nicht die allgemeine Aufklärung eines Sachverhalts. Die Vorwürfe der Anklage könnten mit den vorgelegten Beweismitteln nicht bewiesen werden.
Hannelore Kraft (SPD), die ausdrücklich als Privatperson und nicht als NRW-Ministerpräsidentin sprach, sagte, sie könne die Entscheidung "nur sehr schwer begreifen". Der Beschluss bedeute für die Angehörigen, Familien und Freunde der Opfer zusätzliches Leid. NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) erklärte, er könne die Enttäuschung der Opfer nachempfinden, betonte aber zugleich, dass es sich um eines der komplexesten Verfahren der Nachkriegsgeschichte handle.
Bankrotterklärung der Justiz
Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) erklärte, alle Betroffenen "werden heute schwer tragen an der Entscheidung des Gerichts". Wer einen geliebten Menschen verloren habe, frage nicht nach Verfahrensfehlern. "Der darf Unverständnis äußern, dass es mehr als ein halbes Jahrzehnt brauchte, um diese Katastrophe aufzuarbeiten, ohne dass am Ende jemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden konnte."
Der Opfer-Vertreter Jörn Teich nannte die Entscheidung des Gerichts katastrophal. "Man hat uns eine lückenlose Aufklärung versprochen, jetzt ist die Aufklärung eine Riesen-Lücke geworden", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Anwaltskanzlei Baum, Reiter & Collegen, die zahlreiche Nebenkläger vertritt, sprach von einer Bankrotterklärung der Justiz.
Die Opfer-Stiftung "Duisburg 24.7.2010" sieht nach eigenen Angaben nun ihre Aufgabe darin, den Betroffenen zu helfen, diesen Schock zu verarbeiten. Pfarrer Jürgen Widera, der Ombudsmann für die Opfer und Vorstand der Stiftung ist, erklärte, es mache fassungslos, dass die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen würden.
Am 24. Juli 2010 waren bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen bei einer Massenpanik im Tunnel eines ehemaligen Güterbahnhofes ums Leben gekommen, über 500 wurden verletzt.