ARD und ZDF werden gern und oft auch nicht zu Unrecht gescholten, sie hätten bei ihrer Programmierung der 20.15-Uhr-Termine stets nur die Zuschauerzahlen im Blick. Ein Drama wie "Aus der Haut" ist sicher mehr als bloß die Ausnahme von dieser Regel, denn Filme dieser Art gibt es des Öfteren, aber dieses Werk ist etwas ganz Besonderes: weil es sich mit dem Thema Homosexualität befasst, und zwar auf eine Art und Weise, die zum Glück weder abstrakt noch lehrbuchhaft daherkommt.
Jan Braren, der für sein Drehbuch zu dem Jugenddrama "Homevideo" (2011) mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden ist, erzählt in "Aus der Haut" die Geschichte des 17jährigen Schülers Milan (Merlin Rose), der seine Eltern seit geraumer Zeit auf Trab hält, weil er immer wieder Mist baut. Dabei ist Milan eigentlich ein unauffälliger junger Mann. Er hat eine Freundin, er macht Musik, er mag seine Eltern; aber eines Tages steigt er ins Auto seines Vaters und baut einen Unfall, mit 1,7 Promille im Blut. Susan und Gustav Schultz (Claudia Michelsen, Johann von Bülow) sind fassungslos, erst recht, als Gustav in seinem schrottreifen Wagen einen Abschiedsbrief findet. Was sie nicht wissen: Am Abend zuvor hat sich Milan dazu hinreißen lassen, seinen besten Freund zu küssen, und der hat ihm ziemlich unsanft klar gemacht, was er davon hält.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Natürlich ist die erwachende Homosexualität des Jungen das treibende Motiv des Films, doch im Grunde erzählt Braren die Geschichte eines ganz gewöhnlichen Jugendlichen, der in einer Hinsicht anders ist als die anderen; und das gilt schließlich für praktisch alle Jungen und Mädchen in der Pubertät, die sich in den seltensten Fällen rundum wohl in ihrer Haut fühlen. Milan nimmt zwar die zentrale Rolle ein, doch seine Eltern sind mehr als bloß Nebenfiguren. Abgesehen davon sorgen Braren und der durch das ausgezeichnete Guantanamo-Drama "5 Jahre Leben" bekannt gewordene Regisseur Stefan Schaller mit vielen Alltagsbeobachtungen dafür, dass man sich problemlos mit dem familiären Gefüge identifizieren kann. Letztlich geht es für alle drei darum, wie sie die Herausforderung meistern. Als Milan seinen Eltern endlich erzählt, dass er schwul sei, reagieren Susann und Gustav fast mit Jubel. Das wirkt ein bisschen übertrieben, ist aber auch verständlich, denn endlich haben sie eine Erklärung für das unstete Verhalten des Jungen. Allerdings ahnen sie nicht, dass Milans Bekenntnis gleichbedeutend mit dem Auftakt zum letzten Akt ist: weil auch seine Mitschüler erfahren, dass er schwul ist; und weil Milan nach seinem ersten homosexuellen Erlebnis prompt unter Liebeskummer leidet. Die psychische Belastung aller Beteiligten hat aber noch eine ganz andere Wirkung: Zwischen Susann und Gustav entwickelt sich eine veritable Ehekrise.
Claudia Michelsen und Johann von Bülow verkörpern die Eltern sehr authentisch. Braren hat das Paar mit einigen Klischees versehen, die sich aber genauso auch in der Realität finden. Trotzdem steht und fällt "Aus der Haut" natürlich mit der Glaubwürdigkeit der zentralen Figur. Merlin Rose, in Krimireihen wie "Zorn" oder "Marie Brandt" immer wieder positiv aufgefallen und von Andreas Dresen zum Hauptdarsteller seines Kinojugenddramas "Als wir träumten" erkoren, verkörpert die Rolle in ihrem emotionalen Facettenreichtum zwischen Euphorie und Depression ganz fabelhaft. Ein mutiger Film, der unter die Haut geht und schon deshalb aus dem Rahmen fällt, weil er sich im Gegensatz zu den seltenen sonstigen Fernsehfilmen zu diesem Thema traut, Homosexualität auch zu zeigen.