Mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust prägt die Erinnerung an die Massenvernichtung aus Sicht des Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik weiterhin das Selbstverständnis von Juden in aller Welt und in Israel. "Auch noch in der dritten Generation nach der Schoah leben Juden im Schrecken, im Schock und in Trauer", sagte Brumlik heute in Hannover. Das jüdische Volk müsse mit der Erfahrung leben, "beinahe zur Gänze umgebracht worden zu sein".
Der jüdische Professor und Publizist Brumlik (68) erhält am Sonntag in Hannover die Buber-Rosenzweig-Medaille der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Mit der undotierten Auszeichnung wird er zum Auftakt der "Woche der Brüderlichkeit" für seinen jahrzehntelangen Einsatz zur Verständigung zwischen Juden und Christen in Deutschland geehrt. Zum Festakt im Theater am Aegi wird auch Bundespräsident Joachim Gauck erwartet. Die Laudatio hält die evangelische Theologin Margot Käßmann.
"Ununterbrochene Sorge" um das Fortbestehen Israels
In seinem Vortrag zum Festwochenende analysierte Brumlik die Idee des Zionismus und seiner verschiedenen sozialistischen, nationalen, religiösen und kulturellen Varianten. Anders als bei anderen Nationen habe die Idee einer modernen jüdischen Nation von Anfang an unter dem Druck des Antisemitismus gestanden. Anfang des 20. Jahrhunderts habe die zionistische Bewegung noch erwogen, ein rettendes Territorium etwa im britisch regierten Uganda oder in Lateinamerika zu schaffen.
Widerhall habe die zionistische Idee aber erst gefunden, als sie "in das Bett jüdischen Traditionsbewusstseins" eingeflossen sei. Damit habe sie ihre Richtung auf die damalige osmanische Provinz Palästina erhalten, das Land Israel. Das Bewusstsein, noch vor kurzem eine "in Teilen grausam vernichtete Ethnie" gewesen zu sein, führe bei Juden in aller Welt heute zu einer "ununterbrochenen Sorge" um das Fortbestehen dieses Staates, sagte Brumlik.