Altstadt Instrumente für die ganze Welt
Bonn (epd)Ein Bambuswald, ein Metall-Spiegel, eine ruhige Skulptur: Wenn Philipp Klais über seine Orgeln spricht, dann erzählt er von kleinen Kunstwerken. Von Orgelfassaden, die die Geschichte des Raums und die Farben eines Kirchenfensters widerspiegeln; von Instrumenten, die sich perfekt in ihre Umgebung einfügen sollen, egal ob sie in der Barockkirche in Amorbach, im Konzertsaal in Peking oder in der Hamburger Elbphilharmonie stehen. "Es geht darum schöpferisch etwas zu schaffen, was Menschen in einem Raum berührt", sagt er.
Nur nicht Orgelbauer
Klais ist Chef der Orgelbaufirma Johannes Klais in Bonn. Der 48-Jährige steht damit in einer langen Tradition. Schon Vater, Großvater und Urgroßvater bauten Orgeln. Eine vorgezeichnete Karriere gab es für ihn nicht. "Ich wollte von 15 bis 19 alles werden, nur nicht Orgelbauer", erzählt er. Dass er sich dennoch dafür entschied, hat er vor allem einem Umstand zu verdanken, wie er sagt - seiner angeblich schlechten Gesangsstimme, die ihn beim sonntäglichen Gottesdienst hemmte. "Da habe ich gemerkt: Ich brauche das weiche Klangbad der Orgel, damit ich mich beim Singen wohlfühle". 1995 übernimmt Philipp Klais die Werkstatt von seinem Vater, mit 28 Jahren.
Heute gehört die Firma Johannes Klais zu den Weltmarktführern. Kaum ein Land hat so viele Orgelbauer wie Deutschland, die Konkurrenz ist groß. Mehr als 100 Werkstätten gehören allein dem Bund Deutscher Orgelbaumeister an.
"Es ist bei uns keinesfalls heile Welt; ich weiß, dass der Eindruck entsteht, aber das ist nicht so. Es ist ein hart umkämpfter Markt", sagt Klais. Heute stehen die Instrumente "made in Bonn" in Peking, Lima oder Iowa, in Buenos Aires oder Oman. Fast jede zweite Orgel geht mittlerweile ins Ausland. Bis zu einem Jahr wird an einem Instrument gebaut, jährlich verlassen im Schnitt vier Orgeln die Werkstatt. Der Preis reicht von hunderttausend bis zu mehreren Millionen Euro.
Ruhiges Werksgelände
Seit 1896 steht das Werksgebäude in der Bonner Kölnstraße. "Das ist für einen Orgelbauer ein nicht zufällig ausgewählter Platz", sagt Klais. Denn die Kölnstraße ist die Verlängerung der Bonngasse, in der Ludwig van Beethoven einst geboren wurde. Trubelig ist es mittlerweile in der Kölnstraße, Kneipen stehen neben Shisha-Bars.
Doch ein paar Meter weiter, auf dem Werksgelände, wird es ruhig: Mehrstöckige Backsteingebäude, ein Innenhof, großformatige Porträts der 65 Mitarbeiter kleben an einem Fenster. Das Wohnhaus der Familie Klais grenzt an die Werkstätten. Holzgeruch liegt in der Luft.
Die Orgel für die Hamburger Elbphilharmonie wartet auf ihren letzten Schliff, bald soll sie verpackt und verschickt werden. Zuvor müssen die Pfeifen eingewickelt und markiert werden. Sorgfalt ist wichtig: Rund 4.000 Pfeifen hat eine durchschnittliche Orgel, sie haben alle ihren Platz. Zur Orientierung dienen tapetengroße Pläne, jedes Schräubchen und Ventil ist hier aufgezeichnet.
Bei einem Blick in die Werkstatt wird klar: Viel hat sich hier nicht in den vergangenen Jahrhunderten verändert. "Ich vermute, dass sich auch ein Arbeiter, der vor 200 Jahren gelebt hat, noch zurechtfinden würde", sagt Klais. Im Maschinensaal wird das Holz beschnitten und gefräst. In der Gießerei steht ein leerer Eimer, der später mit flüssigem Zinn befüllt wird, um daraus filigran-dünne Bleche zu gießen - die Vorstufe der Pfeifen.
Die Pfeifen könnten unterschiedlicher nicht sein: So klein, dass sie auf einen Fingernagel passen würden - oder so groß, dass sie eine Hauswand überragen. Auch sie bestimmen den Ton, der später den Raum füllen soll. Und der ist bei jeder Orgel anders. "Wenn ein Kirchenraum schon existiert, geht es zunächst darum, zu erspüren, wie der Raum funktioniert", sagt Klais. Die Anforderungen sind immer unterschiedlich: Wo steht der Chor? Wie findet Gemeindegesang statt? "Was im Rheinland funktioniert, funktioniert nicht in New York. Die Menschen sprechen anders, sie haben andere Erfahrungen, andere liturgische Gegebenheiten - da muss man sich reinfühlen."
Orgelklang und Gemeindegesang müssen zu einer Einheit verschmelzen - "so schön, dass sich die Härchen im Nacken aufstellen", sagt Klais. "Das sind die kurzen Momente, für die wir Orgelbauer arbeiten".
Kein Lieblingsinstrument
In der über 125-jährigen Firmenhistorie ist auch viel Platz für Unglaubliches. Wie etwa die Geschichte der verschwundenen Orgel, die auf dem Meeresgrund vor der japanischen Millionenstadt Osaka liegt. Sie sollte für die Weltausstellung 1970 angeliefert werden, doch dann sank das Containerschiff - und mit ihm Tausende Einzelteile des Instruments.
Oder aber die Geschichte vom perfekten Zeitpunkt zum Fällen der oft über 100-jährigen Bäume für das Orgelholz. Klais orientiert sich dabei auch am Stand des Mondes. Das hängt mit Tradition, aber auch mit der Qualität des Holzes, mit den Säften im Stamm zusammen, sagt er. "Das wird dann oft in den Bereich von Mystik und Esoterik verbannt, aber das ist gar nicht unser Ansinnen."
Hunderte Orgeln haben seit der Gründung des Unternehmens die Werkstatt schon verlassen. Eine Lieblingsorgel sei nicht dabei, sagt Klais: "Mein Vater hat auf diese Frage mal sehr elegant geantwortet: 'Ich habe drei Kinder und kenne ihre Stärken und Schwächen. Aber ich habe natürlich kein Lieblingskind. Und so ist es mit den Instrumenten auch'".