Familien holen die Weihnachtskrippen vom Dachboden und stauben Maria, Josef und das Christkind sorgsam ab. Durch die Musikanlagen der Kaufhäuser schallt "White Christmas". Manches Paar diskutiert, ob es zum Fest Kartoffelsalat mit Würstchen oder doch Gans wie bei der Schwiegermutter geben soll. Und selbst, wer sonst nicht singt, stimmt am Heiligen Abend bei "Stille Nacht" mit ein. Die Weihnachtszeit ist voller Rituale. Experten sagen: Für viele Menschen ist das hilfreich.
Rituale können dazu beitragen, dass Erwartungen nicht enttäuscht werden und damit Streit vermieden wird, ist die Entwicklungspsychologin Maria von Salisch überzeugt. "Ist unter Paaren einmal ausgehandelt, welches Festmahl es gibt, muss das nicht jedes Jahr neu diskutiert werden." Für Kinder seien feste Gewohnheiten besonders wichtig, weil sie Verlässlichkeit schafften, erläutert die Professorin der Leuphana Universität Lüneburg.
"Das Warten auf die Bescherung ist eine gute Übung"
Und sie könnten an klassischen Weihnachtsritualen sogar etwas lernen: "Das Warten auf die Bescherung ist eine gute Übung". Eltern dürften das ruhig ein wenig zelebrieren, etwa indem sie das Zimmer mit den Geschenken abschließen, um die Spannung zu erhöhen.
Der Psychologe Walter Mischel hat in den USA erforscht, wie sich der Umgang von Kindern mit dem sogenannten Belohnungsaufschub bis ins Erwachsenenalter auswirkt. Etwa Vierjährige mussten einige Minuten lang einem Marshmallow widerstehen, um dann mehrere der Süßigkeiten zu bekommen. "Ob ein Kind das früh schafft, kann aussagekräftig sein für den späteren Schulerfolg, die Frustrationstoleranz und das Gesundheitsverhalten wie die Widerstandsfähigkeit gegen Süchte", erläutert Psychologin Maria von Salisch.
Neben dem Baumschmücken, dem Festessen und dem Gottesdienstbesuch gehört auch das Singen in vielen Familien zu den Weihnachtstraditionen. Das gilt vor allem am Heiligen Abend, wenn im Gottesdienst selbst Ungeübte einstimmen. "Das Singen hat dabei auch eine gemeinschaftsstiftende Funktion", sagt der Würzburger Musikpsychologe Andreas Lehmann. Ein Weihnachtslied stehe für ein Ritual ebenso wie das Einschlaflied für Kinder oder Fußball-Fangesänge. "Wer mitsingt, synchronisiert sich mit anderen emotional und physisch, alle sprechen mit einer Stimme."
Vertraute Lieder gefielen vielen Menschen besser als fremde - wenn sie nicht allzu oft gespielt würden. Eine Umfrage auf einem Weihnachtsmarkt habe ergeben, dass die Mitarbeiter dort die Hintergrundmusik grundsätzlich positiv wahrnähmen. "Sie wünschen sich allerdings etwas mehr Abwechslung."
"Weihnachten macht deutlich, dass das Leid und das Böse nicht das letzte Wort haben"
"Rituale haben immer die Funktion, die Welt wieder ein bisschen in Ordnung zu bringen", sagt der Sozialwissenschaftler Gerhard Wegner, der das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland leitet. "Weihnachten macht deutlich, dass das Leid und das Böse nicht das letzte Wort haben."
Zum Christfest haben die Kirchen Zulauf wie sonst nie. Bei 46 Prozent aller Deutschen ist Weihnachten laut einer Emnid-Umfrage von 2013 ein Gottesdienstbesuch fest eingeplant. "Zwei Drittel der evangelischen Kirchenmitglieder sagen, das gehört für sie dazu, das haben schon die Eltern so gemacht", sagt Wegner, und ergänzt: "Das sind mehr als tatsächlich kommen."
In der Kirche erhofften sich die Menschen vor allem eine besondere Atmosphäre, festlichen Schmuck und die vielen noch vertrauten Advents- und Weihnachtslieder. "Sie suchen Glanz, Harmonie und ein bisschen Frieden", beschreibt es Wegner, der auch Pastor ist. Die Predigt führe dann oft wieder in die Realität und sorge dafür, dass das Leid in der Welt nicht vergessen werde.
In kaum einem anderen Land werde Weihnachten so romantisiert wie in Deutschland. "Für einige Menschen ist diese Harmonie-Erwartung allerdings eine unheimliche Überforderung", sagt Wegner.
Was also tun, wenn das "Alle Jahre wieder" so gar nicht mehr zu den Lebensumständen passt und nicht mehr alles so wie früher möglich ist? "Dann kann man sich neue Rituale ausdenken", sagt die Entwicklungspsychologin Maria von Salisch: "Vielleicht einen gemeinsamen Konzertbesuch, oder das Mau-Mau-Spielen mit der dementen Oma."