Solingen (epd)Knapp ein Jahr nach Beginn seiner Arbeit ist das neue Zentrum für verfolgte Künste in Solingen am Dienstagabend offiziell eröffnet worden. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigte die Einrichtung, für die es in Europa keine Parallelen gibt, als "Stellungnahme von nationaler Bedeutung". Sie bringe einen vernachlässigten Teil der Kunstgeschichte in die Öffentlichkeit und lenke die Aufmerksamkeit auf einen "schwierigen Teil der deutschen Geschichte", sagte er in einem Festakt. Es wäre besser gewesen, "wenn es dieses Zentrum gar nicht hätte geben müssen".
Jahrelange Verhandlungen
Die Einrichtung soll das Gedächtnis an Künstler bewahren, die in der NS-Zeit und in der DDR schikaniert, verfolgt, geächtet und vertrieben wurden. Viele von ihnen sind heute vergessen. Das Zentrum erforscht und dokumentiert ihre Geschichten und Werke und macht sie öffentlich zugänglich. Die Idee zu dem einzigartigen Erinnerungsort entstand bereits vor über zwei Jahrzehnten, der Eröffnung gingen jedoch jahrelange Verhandlungen voraus.
Eine Zensur künstlerischer Arbeit sei ein Thema, das "wir nicht hinter uns haben", betonte Lammert. Auch heute gebe es in vielen Ländern Welt "gnadenlose Zensur und Verfolgung", wenn die Arbeit von Künstlern nicht zur vorgegebenen politischen Linie passe. Dies geschehe "auch in Europa, sogar in Mitgliedstaaten der EU", sagte der Bundestagspräsident, ohne einzelne Länder zu nennen. Er fügte hinzu: "Die Menschlichkeit überlebt nur, wenn wir ihr Überleben sichern." Dies sei "das wichtigste Vermächtnis unserer Kultur".
Ursachen für Flucht und Vertreibung
Nach den Worten der stellvertretenden nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne) leistet das Zentrum einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur, weil es die Werke mutiger und verfolgter Künstler und ihre Biografien präsentiere. Jede Generation habe den Auftrag, diese Erinnerungskultur immer wieder neu zu gründen, betonte die Schulministerin. Zugleich sei das Zentrum ein "Signal für unsere heutige Zeit", indem es die Ursachen für Flucht und Vertreibung offenlege. Die aktuelle Flüchtlingskrise zeige, dass Verfolgung und Verfemung kein Relikt aus der Vergangenheit seien.
Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) sprach von einem denkwürdigen Tag, der in die Geschichte der Stadt und der Bundesrepublik eingehen werde. Mit der Eröffnung des Zentrums erfülle Deutschland seine "verdammte Pflicht", auch 70 Jahre nach Kriegsende weiterhin den Nazis entgegenzutreten. Die Einrichtung trage dazu bei, Aspekte der NS-Vergangenheit zur kritischen Auseinandersetzung in die Gegenwart zu transportieren.
Zusammenarbeit mit Yad Vashem
Die Dokumente des Zentrums für verfolgte Künstler stammen überwiegend aus zwei Sammlungen: der Sammlung Gerhard Schneider mit Gemälden und Grafiken aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 und der von der Else-Lasker-Schüler-Stiftung in Wuppertal zur Verfügung gestellten Literatursammlung "Die verbrannten Dichter". Der Bund steuerte zudem eine Million Euro bei, um den Bestand "entarteter" Kunst um wichtige Werke zu ergänzen.
Getragen und finanziert wird das Zentrum für verfolgte Künste vom Landschaftsverband Rheinland und von der Stadt Solingen. Das neue Zentrum arbeitet auch eng mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und mit polnischen Einrichtungen zusammen. In den kommenden Wochen werden neben den ständigen Sammlungen auch drei Sonderausstellungen gezeigt, darunter eine Multimedia-Ausstellung der Gedenkstätte Yad Vashem über Frauen im Nationalsozialismus.