Ein tödliches Medikament aus der Apotheke

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In den Niederlanden wird über eine «Letzter-Wille-Pille» debattiert.
Ein tödliches Medikament aus der Apotheke
In den Niederlanden läuft eine Diskussion über die Legalisierung und den Verkauf von tödlichen Arzneimitteln. Damit könnten todkranke Patienten ihr Leben selbst beenden, die Sterbehilfe wäre autonom und könnte die Ärzte entlasten.
07.12.2015
epd
Benjamin Dürr (epd)

Den Haag (epd)Bisher müssen sterbewillige niederländische Patienten tödliche Medikamente im Ausland bestellen, um ihr Leben zu beenden. Aus Ländern wie China oder Mexiko kommt ein paar Tage später ein Umschlag mit Pillen oder Pulver. Man muss das Mittel nur in Joghurt anrühren. Damit lässt sich der Tod planen.

In den Niederlanden wird nun darüber diskutiert, ob ein solches Mittel in Zukunft legal angeboten werden soll. Damit würde das Land einen weiteren Schritt machen und autonome Euthanasie ermöglichen: Patienten bräuchten keine Hilfe mehr, sondern könnten selbst den Tod herbeiführen. Die Niederländer sprechen von der "Letzter-Wille-Pille".

Ärzte als Richter

Sterbehilfe ist in den Niederlanden bereits möglich. Zurzeit dürfen jedoch nur Ärzte Leben beenden, unter strengen Vorgaben. Patienten, die unerträglich und aussichtslos leiden, können ihren Hausarzt mit Sterbehilfe beauftragen. Ein zweiter unabhängiger Mediziner muss dem Antrag zustimmen. Ärzte sind jedoch nicht dazu verpflichtet, ihren Patienten beim Sterben zu helfen. Einige lehnen es ab.

"Ärzte haben im heutigen System die Rolle von Richtern bekommen", sagt Robert Schurink, Direktor der Niederländischen Vereinigung für ein Freiwilliges Lebensende, einer einflussreichen Lobbyorganisation. Manche Patienten würden gerne ihr Leben beenden, haben aber einen Hausarzt, der ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen kann oder will. "Mit einer Neuregelung könnte mehr Autonomie geschaffen werden, so dass der Einzelne selbst entscheiden kann", erklärt Schurink.

In etwa zehn Prozent der Sterbefälle liegt ein Antrag auf Sterbehilfe vor. Tatsächlich sterben aber nur vier Prozent der Menschen durch Sterbehilfe. Was mit jenen sechs Prozent passiert, deren Wunsch abgelehnt wird, wisse man nicht, sagt Schurink. Manche finden möglicherweise Wege, um Suizid zu begehen, andere bestellen tödliche Medikamente im Ausland.

Über psychische Belastungen geklagt

In einem neuen System, das die Vereinigung für ein Freiwilliges Lebensende in einem sogenannten Zukunftsplan im November entwarf und zur Debatte stellte, würden Ärzte eine geringere Rolle spielen. Mediziner haben in der Vergangenheit über die psychischen Belastungen geklagt, die das bisherige System mit sich bringt: Sie werden eigentlich ausgebildet, Menschenleben zu retten, sollen aber zugleich manchen ihrer Patienten auch tödliche Medikamente verabreichen. Möglich wäre laut Lobbyorganisation zum Beispiel, dass diese Mittel künftig unter strengen Vorgaben von speziellen Organisationen ausgegeben werden - dann wäre man nicht mehr auf Ärzte angewiesen.

Der Medizinethiker Theo Boer von der Protestantischen Theologischen Universität in Groningen mahnt jedoch, man müsse äußerst vorsichtig sein, wenn man die Verantwortung von den Ärzten wegnehme. Boer ist nicht grundsätzlich gegen mehr Autonomie oder die Legalisierung eines tödlichen Mittels. "Entscheidungen wie die über Leben und Tod gehören aber in die Hände von Experten", sagt Boer. "Ein Mittel wie die 'Letzter-Wille-Pille' ist so gefährlich wie eine Schusswaffe auf dem Nachtkästchen."

Kein Missbrauch der Mittel

Auch Schurink fordert Maßnahmen, die verhindern, dass die Mittel für Missbrauch eingesetzt werden - dass sie zum Beispiel in die Hände von Kriminellen oder von psychisch kranken Patienten gelangen. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hätten aber gezeigt, dass die liberale, aber kontrollierte Politik in den Niederlanden nicht zu einem Missbrauch führe.

Die Vereinigung für ein Freiwilliges Lebensende will Anfang des nächsten Jahres die Pläne mit Mitgliedern, Ärzten, Wissenschaftlern und Politikern diskutieren. Danach könnte ein Pilotprojekt beginnen, bei dem die vorsichtige Einführung einer "Letzter-Wille-Pille" getestet wird. Bis zu einem konkreten Gesetzesvorschlag wird es wohl noch dauern. Die Debatte über mehr Autonomie bei der Sterbehilfe aber hat bereits begonnen.