Der Deutsche Behindertenrat fordert einen radikalen Kurswechsel in der Behindertenpolitik. "Wir müssen raus aus der Sozialhilfelogik hin zur Menschenrechtslogik", wie es die UN-Behindertenkonvention verpflichtend vorsieht, sagte der Vorsitzende des Sprecherrates, Ilja Seifert, am Mittwoch in Berlin. Dazu gehöre ein Recht auf unabhängige Beratung, die freie Wahl von Wohnformen und Wohnort für Menschen mit Behinderungen, personenbezogene Leistungen und keine Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf Leistungen der bisherigen Eingliederungshilfe. "Behinderung darf nicht arm machen", forderte Ulrike Mascher vom Sozialverband VDK Deutschland.
"Das sind Menschenrechte, die nicht in China oder Nordkorea verletzt werden, sondern hier in Deutschland"
Das Ganze seien keine Wohltaten, die der Staat an Behinderte verteilt, sondern Deutschland habe sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention dazu verpflichtet, sagte Seifert. Ein entscheidender Schritt sei das geplante Bundesteilhabegesetz, das 2017 in Kraft treten soll. Darin sollen die Leistungen als Menschenrecht verankert werden. Der 3. Dezember ist seit 1992 der internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. In Deutschland gelten bis zu zwölf Prozent der Menschen als behindert.
Von der Menschenrechtslogik sei man in Deutschland trotz entsprechender Absichtserklärungen "noch ziemlich weit entfernt", kritisierte Seifert. Zu viele seien noch dem Denken verhaftet, "wir tun etwas Gutes für Euch". "Wir sehen uns aber nicht als Bittsteller, sondern das sind Menschenrechte, die nicht in China oder Nordkorea verletzt werden, sondern hier in Deutschland", sagte der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete.
6,6 Prozent der Arbeitslosen sind schwerbehindert - Höchststand
Wie lückenhaft die Gleichstellung Behinderter hierzulande noch ist, zeige beispielsweise die Verpflichtung zur Barrierefreiheit, die nur für den öffentlichen Sektor gilt, sagte Hannelore Loskill von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Die Privatwirtschaft sei davon komplett ausgenommen. So sei derzeit kein Internetanbieter, keine Krankenkasse und auch keine Arztpraxis zur Barrierefreiheit verpflichtet.
Der Sozialverband SoVD warnte vor einer Spaltung des Arbeitsmarktes in Deutschland. Das Rekordtief der Arbeitslosigkeit dürfe nicht täuschen, erklärte SoVD-Präsident Adolf Bauer in Berlin. Der Anteil schwerbehinderter Menschen an der Gesamtarbeitslosigkeit habe mit 6,6 Prozent im Oktober 2015 einen neuen Höchststand erreicht. Um das zu ändern, brauche es eine höhere Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die trotz Gesetzespflicht keine behinderten Menschen beschäftigen.
Behindert nicht gleichbedeutend mit leistungsgemindert
Auch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach sich für mehr Inklusion aus. Wer das uralte Vorurteil pflegt, behindert bedeute automatisch auch leistungsgemindert, liege nicht nur falsch, sondern verspiele Chancen für die eigene Fachkräftesicherung, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Unternehmer dürften aber zu Recht auch erwarten, dass sie dabei nicht alleingelassen werden.
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, forderte eine zügige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in deutsches Recht. In diesem Zusammenhang sollte Deutschland auch seine Blockade der geplanten neuen EU-Gleichbehandlungsrichtlinie aufgeben. Sie regele unter anderem den ungehinderten Zugang zu Geschäften, Kultureinrichtungen und Dienstleistungsunternehmen. Deutschland habe sich ohnehin verpflichtet, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. "Warum wir uns dann einer Regelung verweigern, die genau das mit Augenmaß täte, ist mir schleierhaft", kritisierte Lüders.