"Neger aufklatschen" - das war das Ziel des Mobs von Eberswalde. Über 50 rechtsextreme Jugendliche zogen am Abend des 24. November 1990 durch die brandenburgische Stadt nordöstlich von Berlin, bewaffnet mit Zaunlatten und Baseballschlägern. Auf offener Straße machten sie Jagd auf zwei Mosambikaner und einen Angolaner, prügelten brutal auf sie ein. Die Mosambikaner überleben schwer verletzt. Amadeu Antonio Kiowa aber fällt ins Koma. Ohne noch einmal zu Bewusstsein zu kommen, stirbt er am 6. Dezember im Krankenhaus.
Kiowa wurde zu einem der ersten Todesopfer rassistischer Gewalt nach der Wiedervereinigung. Erst wenige Jahre zuvor war der 28-Jährige als Vertragsarbeiter aus Angola in die DDR gekommen. Er arbeitete in der städtischen Wurstfabrik, wollte sich ein Familienleben aufbauen, sagt Anetta Kahane, Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung. Kiowa wollte ankommen in der neuen Bundesrepublik.
Zwar hätten die Vertragsarbeiter für sich in einem Wohnheim gelebt, erinnert sich der Eberswalder Schlosser Kai Jahns. Kontakte zu Einheimischen seien von der DDR-Führung nicht gern gesehen gewesen. "Aber es gab natürlich Freundschaften", sagt er. Jahns kannte Kiowas Freundin, eine Eberswalderin, die von Kiowa ein Kind erwartete. Amadeu Antonio Junior kam am 9. Januar 1991 zur Welt, wenige Wochen nach dem Tod seines Vaters.
Im September 1992 wurden fünf der jugendlichen Täter verurteilt, zu Haft- und Bewährungsstrafen von bis zu vier Jahren. Wer genau für die tödlichen Schläge verantwortlich war, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Zivilfahnder der Polizei, die die Tat offenbar beobachtet hatten, aber nicht eingeschritten sein sollen, kamen straffrei davon.
Für Anetta Kahane ist das auch Ausdruck eines Behördenversagens jener Zeit. "Der damalige Bürgermeister von Eberswalde hat alle Fehler gemacht, die man machen konnte", sagt sie. Medien und Aktivisten seien beschimpft, das Rassismusproblem der Gesellschaft geleugnet worden.
Deshalb sei sie "fast schon froh", dass die Fronten heute so klar verteilt seien: "Die einen sind 'Pegida', und die anderen sind die Helfer", sagt Kahane. Deutschland sei heute "nicht mehr so ein Schlafsack", wo jeder immer nur harmonisieren wolle. Das öffentliche Klima habe sich enorm geändert, es gebe mehr Problembewusstsein. "Da ist jetzt Kraft, Bewegung und eine Art von Selbstbewusstsein in der Gesellschaft. Und das ist auch im Osten so", betont Kahane. Auch im sächsischen Heidenau, wo es im August zu schweren Ausschreitungen von Rechtsextremisten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen kam, gebe es heute viele zivile Helfer. "Das wäre früher undenkbar gewesen."
Probleme mit Rassismus und fehlendem Demokratiebewusstsein
Dennoch, in einigen Gegenden gebe es nach wie vor Probleme - mit Rassismus, mit fehlendem Demokratiebewusstsein. Trotz der Erfolge ihrer 1998 gegründeten Stiftung, die in den vergangenen Jahren unzählige Projekte gegen Rechtsextremismus und zur Förderung demokratischer Kultur entwickelt hat, ist Kahane deshalb "überhaupt nicht zufrieden".
"Wenn man in Gegenden kommt, wo nichts gegen Rechts getan wird, ist es auch heute noch schlimm", sagt die 61-Jährige, die der Stiftung weiter vorsitzt. Und deshalb macht sie sich Sorgen, auch mit Blick auf die vielen Flüchtlingszuzüge. "Ich habe große Angst, dass jemand stirbt." Dennoch: "Optimismus ist wichtig", sagt Kahane. Entscheidend sei jetzt vor allem, dass der Staat seinen Pflichten nachkomme und die Polizei die Flüchtlinge schütze. Und sie sei froh, dass im Vergleich zu den 90er Jahren die politischen Eliten heute offen gegen Rechts einträten.
Zumindest Eberswalde ist dadurch zu einem freundlicheren Ort geworden. Es gibt viele zivilgesellschaftliche Initiativen. Auch der afrikanische Kulturverein "Palanca", der bald nach dem Angriff auf Amadeu Antonio Kiowa von einem seiner Freunde gegründet wurde, ist weiter aktiv. Und Amadeu Antonio Junior hat vor kurzem seinen Bundesfreiwilligendienst bei der Stadt beendet, bald will er eine Ausbildung beginnen. "Er fühlt sich wohl in Eberswalde", sagt Kai Jahns.