Liebe, Lächeln und Bildung gegen den Krieg

Illustration: evangelisch.de/Simone Sass
Liebe, Lächeln und Bildung gegen den Krieg
Nach den Anschlägen von Paris brauchen die Ermittlungsbehörden Unterstützung. Den Terrorismus wird man damit allerdings nicht aufhalten können. Dafür braucht es Zeit, Bildung und Liebe. Anders geht es nicht.

Krieg, rufen sie, Krieg! Eine neue Art von Krieg! Wir müssen die Terroristen besiegen! Wir müssen doch irgendetwas tun!

Ja, das stimmt, wir müssen etwas tun. Jeder von uns.

  • Wir müssen uns gemeinsam gegen Terroristen verbünden statt gegen Muslime, die ebenso entsetzt sind wie alle anderen Menschen auch.
  • Wir müssen die muslimischen Theologen unterstützen, die den Islam historisch-kritisch auslegen und nicht nur die jahrhundertelange Auslegung fortschreiben.
  • Wir müssen Freundschaften schließen und Nächstenliebe leben und erlebbar machen. Denn jeder Radikalisierungsprozess kann auch durch kleine Dinge verändert oder aufgehalten werden. (Und wenn wir keine Radikalen kennen, gewinnen wir neue Freunde - auch gut.)
  • Wir müssen mindestens genauso viel in Bildung investieren wie in eine bessere Ausstattung für die Polizei, die mit der Terrorismusbekämpfung beauftragt ist. Das fängt mit Sprachunterricht an, für jeden, der hierher kommt, und zwar ohne Wartezeit.

(Das ist die Kurzfassung dieses Kommentars. Für die Langfassung einfach weiterlesen:)

Krieg ist dagegen die falsche Antwort. Denn Krieg bedeutet: Soldaten irgendwo hinschicken, die sich gegenseitig umbringen, bis eine Seite entweder keine Ressourcen mehr hat oder keine Lust mehr. Gegen Terroristen funktioniert das aber nicht.

Denn sie leben mitten unter uns, wo man keine Soldaten hinschicken kann. (Die Täter von Paris lebten ersten Ermittlungen zufolge in Belgien und Frankreich. Die Attentäter von 9/11 planten ihre Tat in Hamburg.) Sie radikalisieren sich individuell oder in Gruppen, in Wohnzimmern oder Hinterzimmern, zuhause oder auf Reisen, allmählich oder sofort. Das ist meistens ein Prozess der kleinen Schritte, der in jedem Schritt anders verlaufen kann, je nachdem, wer und was den Menschen beeinflusst. Ein Lächeln zur richtigen Zeit, ein Buch am richtigen Abend, eine gelungene Liebesgeschichte, eine überzeugende Predigt - alles kann zum Stolperstein auf dem Weg zum Täter werden. Aber einen werdenden Terroristen erkennt man nicht an seinem Äußeren, und ins Herz können wir den Menschen nur selten schauen. Erst wenn es zu spät ist, sieht man ihm das an - an der Waffe oder an der Sprengstoffweste.

Die geistigen und geistlichen Anstifter dagegen kann man mit der Kriegsmaschinerie moderner Staaten umbringen, so wie es die USA mit ihrem Drohnenkrieg in Irak, Afghanistan und Afrika tun. Das ist dann auch irgendwie Krieg, sogar eine neue Form von Krieg, meistens illegal. Aber er ändert nur wenig. Denn stirbt einer der Köpfe des Terrors, rückt der nächste nach. Die Tötung von Osama Bin Laden damals (kennt den überhaupt noch jemand?) hat Al-Kaida kurz aus der Balance gebracht. Dann floss die Unterstützung in andere Gruppen: Al-Shabaab, Boko Haram, Al-Kaida im Irak - aus der dann später der IS hervorging.

Terrororganisationen sind wie eine Hydra

Solche Terrororganisationen sind wie die sagenhafte Hydra. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach, und man kann sie nicht allein besiegen (das konnte Herkules der Sage nach auch nicht). Wenn sie so groß und verstreut sind wie der islamistische Terrorismus, kann man sie auch nicht in einem Schlag loswerden, indem man die Anführer ausschaltet, so wie es mit der RAF im Deutschland der 70er Jahre gelang.

Was also tun?

Man kann zwar keinen erfolgreichen Krieg mit Soldaten gegen Terroristen führen. Man kann sie aber wie jeden anderen gewaltbereiten Kriminellen mit den Mitteln der Polizei finden, vor Gericht bringen, ihre Konten sperren. Allerdings helfen dafür breit streuende technische Mittel wie die Vorratsdatenspeicherung oder die Rasterfahndung nur wenig. Frankreich hat seit dem Angriff auf Charlie Hebdo eine umfangreiche Vorratsdatenspeicherung und weitgehende Abhörgesetze - verhindert hat das die Anschläge vom 13. November nicht. Die beiden deutschen Polizeigewerkschaften fordern vor allem mehr Personal und aktualisierte Ausstattung für die ihrer Aussage nach überforderte Bundespolizei. Das ist ein Wunsch, dem die Politik nachgehen sollte. Die Verstärkung der Ermittlungsbehörden kostet zudem weniger als ein möglicher Kriegseinsatz der Bundeswehr gegen einen undefinierbaren Feind. Das muss aber gezielte Ermittlung sein und kein Generalverdacht.

Damit werden sich trotzdem nicht alle Terrorangriffe aufklären oder sogar verhindern lassen. Vor entschlossenen Terroristen, gerade wenn sie sich in kleinen Gruppen oder allein selbst radikalisieren, kann sich eine Gesellschaft nicht vollständig schützen. Ein Anschlag wie in Paris kann auch in Deutschland passieren. Wir können nur etwas dafür tun, dass die Wahrscheinlichkeit dafür sinkt.

Denn obwohl es Hassprediger gibt, die die Freiheit, die in Demokratien westlicher Prägung üblich ist, einfach abschaffen wollen, ist diese Freiheit doch der Grund, warum sich in Mitteleuropa so viele Menschen wohlfühlen. Hier können sie ihre Religion ohne Verfolgung ausleben, ob sie Christen, Jesiden, Sunniten oder Schiiten sind. Hier finden Flüchtlinge Frieden vor dem Krieg, der sie aus ihrer Heimat treibt.

Bildung ist mindestens genauso wichtig wie Investitionen in die Polizei

Jeder von uns kann etwas dafür tun, dass das auch so bleibt. Wir müssen uns gegen Terroristen verbünden, nicht gegen Muslime, die von dem Terror ebenso entsetzt sind wie jeder andere Mensch auch. Wir müssen die muslimischen Theologen unterstützen und stärken, die den Koran historisch-kritisch auslegen statt streng der ununterbrochenen wörtlichen Auslegungskette zu folgen (und sich gegen Terrorismus stellen). Wir müssen mit den Menschen in unserer Nachbarschaft Freundschaften schließen und Freundlichkeit und Nächstenliebe selbst leben und erlebbar machen. Denn es fällt auch radikalisierten Menschen schwerer, ihre Freunde zu töten als Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen haben. (Und wenn kein Radikaler unser Nachbar ist, haben wir hinterher trotzdem Freunde gewonnen - das ist auch schön.)

Wir müssen allen Menschen, die nach Deutschland kommen, den gleichen Zugang zu Bildung ermöglichen wie denen, die hier geboren werden, und zwar sobald sie hier sind. Das beginnt beim Lernen der Landessprache, aber das ist nur der Anfang. Bildung ist mindestens genauso wichtig wie Investitionen in die Polizei, um zukünftige Radikalisierung und damit Terrorismus zu verhindern.

Ebenso wie Herkules die Hydra nicht allein besiegen konnte, müssen diese Anstrengungen außerdem europaweit passieren. Wir können zwar den Krieg zwischen Sunniten und Schiiten nicht beenden, dessen Ausläufer auch der Terrorismus gegen den Westen ist. Aber wir haben es in der Hand, allen Menschen in Europa zu zeigen, wie und warum unser freiheitlicher Staatenbund ein lebenswertes Leben ermöglicht. Christliche Nächstenliebe ist ein wesentlicher Teil dessen. (Die Muslimen-Mission, die sich das evangelikale Medium "idea" in einem inzwischen gelöschten Beitrag wünschte, allerdings nicht.)

Für die direkt Betroffenen ist so ein Anschlag wie in Paris die Hölle, das zeigen die Augenzeugenberichte, die jetzt nach und nach auf Facebook und anderen Kanälen erscheinen. Sie brauchen Unterstützung und Betreuung. Für die Täter ist so ein Anschlag ein Erfolg. Sie verdienen dafür unsere Verachtung und die volle Härte des Gesetzes. Für alle anderen Menschen - egal wer, egal woher - ist so ein Anschlag immer wieder ein Weckruf. Hoffentlich wird daraus der Ruf nach Bildung, Liebe und mehr Lächeln im Alltag. Denn ein erklärter Krieg, dessen Front direkt durch unsere Stadtviertel führt, wäre das genaue Gegenteil davon.