Singend Deutsch lernen

epd-bild/Peter Sierigk
Die Sprachlernklasse der Grundschule Klint in Braunschweig übt für das bundesweite Gesangsprojekt "Klasse! Wir Singen" mit den beiden Pädagoginnen Danuta Matussek (links) und Mareike Mügel.
Singend Deutsch lernen
Bundesweites Schulprojekt «Klasse! Wir Singen» startet für Flüchtlingskinder
Die Kinder aus Ghana oder Syrien können oft kein Wort Deutsch. Mit Liedern wie «Alle Vögel sind schon da» sollen die Flüchtlinge die neue Sprache leichter lernen. Ein Gesangsprojekt startet nun mit einem Angebot für Sprachlernklassen in Schulen.
10.11.2015
epd
Charlotte Morgenthal (epd)

Braunschweig (epd)"Hab ne Tante aus Marokko", trällert die elfjährige Mertona fröhlich durch das Klassenzimmer. In einer Grundschule im niedersächsischen Braunschweig gehört das albanische Mädchen zu den ersten Kindern, die an dem Schulprojekt "Klasse! Wir Singen" für Flüchtlingskinder teilnehmen. Das vom Braunschweiger Domkantor Gerd-Peter Münden entworfene bundesweite Gesangsprojekt löste Begeisterungsstürme aus: Bisher hat das Großprojekt rund 450.000 Schulkinder zum gemeinsamen Singen animiert. Neu ist nun ein spezielles Angebot für Kinder anderer Herkunftsländer.

Für Mertona, die als Kind albanischer Eltern in Italien aufwuchs, ist Deutsch die dritte Sprache, die sie lernt. "Ich singe gerne", sagt das Mädchen und lächelt schüchtern. Die Kinder in der Sprachlernklasse der Grundschule Klint kommen aus Polen, Portugal, Syrien, Spanien, Vietnam oder Ghana.

Mut zum Sprechen entwickelt

Domkantor Münden ist überzeugt, dass die Mädchen und Jungen über das Singen leichter die neue Sprache lernen. Für das Projekt hat er einige weltweit bekannte Lieder in dreizehn andere Sprachen übersetzen lassen. So können die Kinder sich zum Beispiel den Kanon "Bruder Jakob" gegenseitig auch in ihren Muttersprachen vorsingen, darunter Arabisch oder Polnisch.

Im Klassenzimmer der Braunschweiger Grundschule schaltet Lehrerin Danuta Matussek eine CD ein. Mit den ersten Tönen wird es still im Raum. Alle Kinder warten auf ihren Einsatz: "Wir sagen guten Morgen und hören uns zu, wir möchten gerne wissen, wer bist Du?" singen sie dann. Mit dem letzten verklungenen Ton zeigt der neunjährige Michael aus Ghana auf sein Gegenüber. In gebrochenen Sätzen erzählt dieser Junge dann, dass er aus Syrien kommt, wie er heißt und dass er gerne Fußball spielt.

Mit diesem Lied hätten viele erst den Mut zum Sprechen entwickelt, sagt Matussek. Ihre Kollegin Mareike Mügel ergänzt: "Wenn die Kinder singen, sind sie weniger gehemmt." Zwei Mal in der Woche holen die Pädagoginnen die Schüler für ein paar Stunden aus den Regelklassen heraus, um gezielt Deutsch zu üben. Viele seien am Anfang sehr schüchtern gewesen, sagt Mügel. "Es ist sehr schön zu sehen, wie stolz sie sind, wenn sie etwas gesagt haben."

Großkonzerte für Schulklassen

Das Projekt "Klasse! wir Singen" hat Münden 2007 ins Leben gerufen. Die Kinder lernen dabei zunächst in ihren Klassen der Stufen 1 bis 7 unterschiedliche Lieder. Für das Üben zu Hause bekommen sie Noten und CDs. In einem Chor mit bis zu 5.000 Stimmen treten die Mädchen und Jungen dann bei sogenannten Liedfesten auf. Für diese Großkonzerte, die im kommenden Jahr in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern geplant sind, können sich Schulklassen noch bis zum 15. November anmelden.

Für das Migrationsprojekt hat sich Domkantor Münden noch etwas Zusätzliches einfallen lassen. Weil viele Flüchtlingsfamilien keinen CD-Player haben, können sie die Hörbeispiele auch digital im Internet herunterladen. "Ein Smartphone gibt es in fast jeder Familie", sagt Münden. Musik und Noten für die insgesamt 20 Lieder sind kostenlos. Zu der deutschen Liedauswahl zählen Klassiker wie "Alle Vögel sind schon da" oder "Der Mond ist aufgegangen".

Die achtjährige Quynh, die vor einem Jahr mit ihren Eltern aus Vietnam nach Deutschland kam, hat ein ganz anderes Lieblingslied. Besonders gefalle ihr eine Zeile vom Titelsong des Projekts, erzählt das Mädchen mit der pinkfarbenen Brille kichernd: "Singen kann man überall. In der Oper, auf dem Klo, in der Wanne sowieso." Freudestrahlend fügt sie in fehlerfreiem Deutsch hinzu: "Das Singen ist schön und witzig."