London (epd)Zwölf Flüchtlinge am Tag - diese Rechnung macht die britische Grünen-Abgeordnete Caroline Lucas auf, nachdem Premierminister David Cameron angekündigt hat, in den kommenden fünf Jahren 20.000 syrische Flüchtlinge in Großbritannien aufzunehmen. Dabei stellte Cameron klar, dass es sich dabei nicht um Flüchtlinge handeln werde, die bereits in Europa sind. Vielmehr will er die Menschen aus Flüchtlingslagern an der syrischen Grenze holen. Vor allem Kindern, insbesondere Waisen, will das Königreich Schutz bieten.
Großbritannien will keine Umverteilung
Großbritannien habe eine "moralische Verantwortung", Flüchtlinge aus Flüchtlingscamps umzusiedeln, sagte Cameron. Gleichzeitig formulierte der Premier jedoch eine deutliche Absage in Richtung Brüssel. Dort will die EU-Kommission an diesem Mittwoch die Umverteilung von 120.000 Menschen vorschlagen, die in Italien, Griechenland und Ungarn gestrandet sind. Cameron bekräftigte, dass sein Land sich nicht beteiligen werde - man wolle nicht indirekt das Geschäft der Schlepper unterstützen, zudem habe Großbritannien das Schengen-Abkommen zur Reisefreiheit nicht unterzeichnet.
5.000 Syrer haben in Großbritannien seit 2011 Asyl erhalten. Camerons Ankündigungen sorgten im eigenen Land für einigen Wirbel. Kritiker verweisen etwa auf die 15.000 Flüchtlinge, die Deutschland gerade innerhalb einer einzigen Woche aufgenommen hat. "Lasst uns tun, was die Deutschen tun", verlangte Gerald Kaufman, Abgeordneter der oppositionellen Labour-Partei. "Wir werden das sonst bis an unser Lebensende bereuen", sagte er. Auch Flüchtlingsorganisationen reagierten verhalten auf die Ankündigung Camerons.
Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, sagte, die Reaktion der Regierung sei angesichts der Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und der Europäischen Kommission immer noch "sehr dünn". Man müsse in den kommenden Jahren mit mehr Flüchtlingen rechnen, wenn es nicht zu signifikanten politischen Veränderungen komme, unterstrich er.
Der Druck auf den konservativen britischen Premier, mehr Flüchtlinge als bisher aufzunehmen, war in den vergangenen Tagen gewachsen. Nachdem viele britische Zeitungen das Bild des toten syrischen Jungen am Strand auf ihren Titelseiten gezeigt hatten, wurden immer mehr Stimmen laut, die ein humanitäres Handeln Großbritanniens forderten. Die Tageszeitung "Independent" startete eine parlamentarische Petition für die Aufnahme von Flüchtlingen, die innerhalb weniger Tage bereits fast 400.000 Unterzeichner fand.
Und auch die Lage in Calais, auf der französischen Seite des Eurotunnels, lässt die meisten Briten nicht mehr kalt. Immer wieder kommt es zu massiven Zugverspätungen und Staus, weil Flüchtlinge in Calais versuchen, zu Fuß durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu kommen. Viele haben dort Familie oder waren bereits vor Jahren schon einmal in Großbritannien.
Briten spenden großzügig
Seit Tagen gibt es Spendenaufrufe, um die Menschen in Calais mit dem Notwendigsten zu versorgen. Und die Briten spenden. Mehr als 20 Autoladungen an Hilfsgütern wurden allein am vergangenen Wochenende nach Frankreich transportiert. Mehr als 40 britische Gemeinden boten an, Flüchtlinge aufzunehmen. Bei Wohltätigkeitsorganisationen gingen Spenden in Millionenhöhe ein. Nach einem Zeitungsartikel über die "Dschungel"-Bücherei im Lager in Calais wurde die Bücherei mit Buchspenden überrannt - Helfer mussten die Menschen bitten, statt Büchern wieder Geld zu geben.
So ist davon auszugehen, dass derzeit weder die Spendenbereitschaft noch der Druck auf den Premierminister nachlässt. Viele Autoren britischer Tageszeitungen und anderer Medien schlossen sich der Kritik des Erzbischof von Canterbury an und rügten die Ankündigung Camerons als zu dürftig. Vor allem die Ansage, keine Flüchtlinge aus besonders belasteten EU-Ländern aufzunehmen, stieß auf Kritik. Aber auch von anderer Seite wird der Druck zunehmen: Cameron wird sein Versprechen, die Zahl der Einwanderer insgesamt zu reduzieren, wieder nicht halten können. Das werden Rechtspopulisten zu nutzen wissen.