Das Internet schaffe eine neue soziale Frage, sagte Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin auf dem ersten "Netzpolitischen Kongress der Evangelischen Jugend" am Freitagabend in Berlin. Früher sei es ein Privileg der Eliten gewesen, seine eigene Meinung zu verbreiten. Heute könne das im Prinzip jeder über das Internet. So sei zumindest die Theorie, denn noch längst gäbe es nicht Zugang für jeden.
In Deutschland mache es beispielsweise die "Störerhaftung", ein deutscher Sonderweg, schwierig, Internet für alle anzubieten. Es nimmt Anbieter eines W-Lan-Netzwerks in Haftung für diejenigen, die das Netzwerk nutzen. Das erschwere einem Café-Betreiber beispielsweise die Entscheidung, ein Netzwerk für Gäste freizugeben. In anderen europäischen Ländern und den USA gäbe es diese Regelung nicht.
"Zu wenige Netzpolitik-Experten"
Die einzige zivilgesellschaftliche Organisation, die sich auf dem Gebiet der Netzpolitik auf europäischer Ebene engagiere, sei EDRi. Unter anderem dieses Beispiel zeige, wie wenig ausgestaltet Netzpolitik auf europäischer Ebene sei. Sowohl auf europäischer als auch auf Bundesebene setzten sich eher Wirtschafts- und Innenpolitiker gegenüber den Netzpolitikern der Fraktionen durch, wenn es um die Gestaltung der Netzpolitik gehe.
Das werde deutlich am Beispiel der Datenschutzrichtlinie der EU aus dem Jahr 1995, die eine Revision erfahren sollte. Nach einem guten Vorschlag der Kommission sei der Vorschlag vom Rat verwässert worden und somit das Datenschutzniveau weiter niedrig.
"Das zeigt, dass es schwer ist, auf europäischer Ebene Bürgerrechte durchzusetzen, was Netzpolitik angeht", sagte Ulf Buermeyer. Auch deutsche Vertreter im Europäischen Rat hätten sich mehr für Wirtschaftsinteressen stark gemacht. Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen und Gründer von iRights.info bestätigte diese Einschätzung und ergänzte, dass es sowohl auf europäischer als auch auf Bundesebene zu wenige Experten im Bereich der Netzpolitik gäbe. Zivilgesellschaftliche Akteure wie Gewerkschaften und Kirchen seien auf dem Feld der Netzpolitik kaum wahrnehmbar, sagte Ulf Buermeyer. Ihm zufolge sind die Kirchen in Bezug auf die Netzpolitik "eher in den Startlöchern".
Facebook nicht ständig anprangern?
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Christina Schwarzer ärgerte sich über das ständige Anprangern von Facebook, da schließlich jeder freiwillig den Datenschutzrichtlinien zustimme. In der vergangenen Woche hatte der Europäische Gerichtshof das "Safe Harbor"-Abkommen gekippt, das den kommerziellen Datenaustausch zwischen den USA und Europa verbietet, da das Datenschutzniveau auf amerikanischer Ebene zu niedrig für europäisches Datenschutzrecht sei.
Julia Zwick aus der Evangelischen Jugend in Bayern entgegnete, dass es für sie nicht in der Verantwortung des Einzelnen liege, da Anbieter wie Facebook oder Google viel zu sehr zur heutigen Lebenswelt gehörten. "Meinen Facebook-Account zu löschen, hat sich für mich angefühlt, als würde ich mir ein Bein ausreißen", sagte sie.
Ulf Buermeyer sagte, dass man sich nicht wirklich freiwillig für Facebook entscheide. Er empfinde den Begriff "Freiwilligkeit" als Kampfbegriff. Das ergebe sich für ihn auch daraus, dass man weder einen Arbeits- noch einen Mietvertrag wirklich freiwillig unterschreibe, da Wohnung und Arbeit soziale Notwendigkeiten seien. "Wenn der gesamte Freundekreis auf Facebook ist, dann ist man sozial ausgeschlossen." Auch Arbeitgeber könnten Menschen ohne digitale Identität komisch finden, sagte Konstantin von Notz, Sprecher Netzpolitik der grünen Bundestagsfraktion. "Deswegen ist die Freiwilligkeit nicht gegeben."
Von Notz zeigte sich wenig erfreut über die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung mit dem Straftatbestand der Datenhehlerei, für die am Freitag eine Mehrheit im Bundestag gestimmt hatte. "Das wird uns noch Probleme machen", sagte er. Das Internet verändere unsere Gesellschaft mehr, als der Buchdruck, ergänzte von Notz. Auch Ulf Buermeyer hält nicht viel von der Regelung zur Vorratsdatenspeicherung, damit werde man nur "die Trottel" kriegen, sagte er. Denn es sei jetzt schon kein Problem, das Internet anonym zu nutzen.
Einer Meinung zeigten sich alle Diskutanten bei dem Thema rechtliche Regelungen: In einem globalen Netzwerk Recht zu etablieren, sei ein bisher ungelöstes Problem, sagte Konstantin von Notz. Angesichts der Ratlosigkeit, die sie bei diesem Thema bei Spitzenpolitikern wahrnehme, habe sie Bauchschmerzen, sagte die CDU-Abgeordnete Christina Schwarzer. Ulf Buermeyer plädierte dafür, im Bereich der Netzpolitik "kreativ" zu sein.