Rangun (epd)Thant Zin Soe braucht kein Mikrofon. Er braucht auch keine großen Worte. Wenn der junge Erzähler mit dem feinen Schnauzbart in seiner Heimat Myanmar Kinder für Frieden, Toleranz und Vielfalt begeistern will, braucht er nur seine Geschichte von Frosch und Schlange, die trotz aller Verschiedenheit beste Freunde sind.
Seit Jahrzehnten Bürgerkrieg
In Myanmar, dem früheren Birma, ist Toleranz keine Selbstverständlichkeit. Verschiedenen Ethnien, von denen 135 offiziell anerkannt sind, liegen seit dem Ende der britischen Kolonialzeit 1948 miteinander im Streit. Seit Jahrzehnten herrscht in dem südostasiatischen Land Bürgerkrieg, er gilt als der am längsten andauernde der Welt.
In den Rängen des alten Kinosaals in Downtown Rangun sitzen an die hundert Grundschulkinder gebannt vor Geschichtenerzähler Thant Zin Soe, ihre Münder stehen offen. Die Akustik ist schlecht, Menschen gehen ein und aus. Thant Zin Soe hat damit kein Problem. Er kneift die Augen zu, reißt sie wieder auf, paddelt mit den Händen und wirft seinen geknoteten Haarschopf in den Nacken. Wenn er seine Geschichten erzählt, ist das wie Fernsehen. Man kann nicht anders, man muss hinschauen.
Als 2012 in Myanmar die lange schon schwelenden Konflikte zwischen Buddhisten und der muslimischen Minderheit im Land eskalierten, wussten Thant Zin Soe und seine Freunde Wa Lone und Ei Pwint Rhi Zon, dass sie etwas tun müssen. Bei den noch unvoreingenommenen Kindern wollten sie ansetzen und zwar mit Geschichten, die sie als hübsche Kinderbücher austeilen wollten. Letztere sind in Myanmar Mangelware.
Sprache des Westens
Zwei Jahre später hielten sie das erste Buch in Händen. Bis jetzt wurden über 30.000 Exemplare in unterschiedlichen Minderheitensprachen an Kinder im ganzen Land verschenkt. Längerfristig wollen die Storyteller nicht mehr so stark von Sponsorengeldern abhängig sein, deshalb verkaufen sie auch einen Teil der Bücher. Abnehmer sind Organisationen oder - für die englische Version - Mittelklasse-Eltern, die darauf erpicht sind, dass der Nachwuchs die Sprache des Westens erlernt.
Die Geschichten der Myanmar Storyteller sind Parabeln. Sie verlassen die Ebene des Symbolischen nicht. Deshalb ecken sie auch nicht an. "Vielleicht hassen manche die Muslime. Aber den Frieden hasst niemand", erklärt Wa Lone, der als Reporter bei der lokalen Tageszeitung "Myanmar Times" über die Konflikte im Land berichtet.
Einer davon spielt sich im Rakhine-Staat ab. Seit dem Ausbruch von Unruhen vor drei Jahren werden dort geschätzt 140.000 muslimische Rohingya in Lagern festgehalten. Ein Großteil der Burmesen hält sie für Ausländer. Für die UN sind sie eine der am stärksten verfolgten Minderheiten der Welt. In Myanmar werde manchen Kindern der Hass regelrecht anerzogen, sagt Wa Lone. "Ich habe selbst gesehen, wie sie Sprüche wie "Ich kaufe nie bei einem Muslim" auswendig aufsagen müssen."
Tolle Freundschaft retten
Um ihre Reichweite zu vergrößern, konzentrieren sich die Aktivisten derzeit auf Lehrer. Fünfzehn Geschichtenerzähler-Trainings hat Thant Zin Soe dieses Jahr bereits veranstaltet. "Das Einzige was gegen Hass tatsächlich hilft, ist Bildung", erklärt Wa Lone. In dem im Frühjahr bezogenen Büro im Zentrum von Rangun sitzt er zwischen Kisten mit bunt bebilderten Büchern. Er weiß, dass die Geschichtenerzähler einen langen Atem brauchen. "Es wird Generationen dauern, bis wir echten Frieden haben."
Er und seine Mitstreiter werden noch viele Male den Kindern von Myanmar von den ungleichen Freunden erzählen: Vom jungen Frosch, der im Wald auf die kleine weiße Schlange trifft. Davon, dass die beiden sich prächtig verstehen, die Familien aber entsetzt sind über die Freundschaft. Und davon, dass Frosch und Schlange sich von allen Schmähungen nicht beeindrucken lassen und ihre tolle Freundschaft retten.