Düsseldorf, Mainz (epd)Amaru (32) ist seit acht Monaten in einem Container-Flüchtlingsheim in Düsseldorf untergebracht. Und seit acht Monaten schläft der junge Mann aus Nigeria jede Nacht im Freien. Das löst zuweilen Unverständnis aus: Sollte er nicht froh sein, ein Dach über dem Kopf zu haben? Anders als die vielen Tausend Flüchtlinge, die sich unterwegs noch durchschlagen müssen? Doch wer Amarus Geschichte hört, denkt anders.
Auf der Flucht wurden er, seine Frau und seine kleine Tochter in Libyen in einen Container gesperrt, wie Sklaven gehalten und auch vergewaltigt. Als sie endlich fliehen konnten, starben Frau und Tochter bei einer Explosion. Deswegen erträgt Amaru es nicht, sich in einem Container aufzuhalten. Seine Erlebnisse haben ihn schwer traumatisiert.
Gefühl ständiger Gefahr
"Ich habe als erstes beantragt, dass er woanders untergebracht wird", sagt die Psychologin Veronika Wolf, die im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf arbeitet und Amaru betreut. Der Nigerianer leidet unter ständigen Flashbacks, die ihn in den Container zurückversetzen und ihn die Ereignisse immer wieder neu erleben lassen. Derzeit bekomme er eine hohe Dosierung an Psychopharmaka.
"Die Geschichten, die wir zu hören bekommen, sind oft schon sehr tragisch", sagt die Psychotherapeutin. Die Bundespsychotherapeutenkammer schätzt, dass mindestens die Hälfte aller Flüchtlinge in Deutschland psychisch krank ist.
Doch was genau ist eigentlich ein Trauma? Ulrich Bestle, Leitender Psychologe in der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz: "Ein Trauma ist ein Ereignis katastrophalen Ausmaßes, das bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen kann." Das Trauma könne im Herkunftsland oder auf der Flucht passieren, erklärt der Psychotherapeut, der selbst Flüchtlinge behandelt. Das traumatisierende Ereignis werde bruchstückhaft im Gehirn abgelegt, so dass die Betroffenen das Gefühl hätten, ständig in Gefahr zu sein.
Narben bleiben
Dem Trauma folgt oft eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung, die sich etwa in Angstattacken oder Alpträumen äußert. Bestle: "Die Betroffenen versuchen, bestimmte Situationen zu meiden, die Flashbacks auslösen können, und ziehen sich immer weiter zurück. Oft vermeiden sie alles, was sie an die Fluchterlebnisse erinnert."
Der Zustand eines Betroffenen müsse sich durch Psychotherapie zunächst stabilisieren. "Dann geht es schrittweise um eine Konfrontation mit den Ereignissen, die am schlimmsten waren", sagt Bestle. Langfristig solle dabei das Traumagedächtnis verändert werden. "Bei der Verarbeitung der Ereignisse muss das Erlebte biografisch abgelegt werden. Der Patient lernt: 'Dies ist Teil meiner Biografie, aber nicht mehr Teil meines Alltags'." So soll langsam deutlich werden, dass keine unmittelbare Gefahr mehr besteht.
Doch ist es überhaupt möglich, all die furchtbaren Erlebnisse von Tod und Gewalt zu verarbeiten, mit denen Flüchtlinge über Monate hinweg konfrontiert wurden? "Einige zerbrechen daran", sagt Esther Kleefeldt von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BafF) in Berlin. "Wir können helfen, die seelischen Wunden zu heilen. Aber Narben bleiben zurück." Wenn man es schaffe, den Menschen wieder etwas Hoffnung und Lebenswillen zurückzugeben, dann habe man schon viel erreicht.
Therapieplätze fehlen
Doch nur die allerwenigsten bekommen tatsächlich psychologische Unterstützung. "2014 waren es etwa vier Prozent der psychisch kranken Flüchtlinge, bei zu erwartenden 800.000 Flüchtlingen im Jahr 2015 werden es voraussichtlich unter einem Prozent bleiben", sagt Kleefeldt. "Denn es gibt viel zu wenig freie Plätze für Psychotherapien oder soziale Beratungen." Die Mitarbeiter der bundesweit rund 30 Psychosozialen Zentren appellieren dringend an niedergelassene Psychotherapeuten, ebenfalls Flüchtlinge zu behandeln.
Auch der Psychologe Ulrich Bestle schließt sich dem an: Zwar sei es zunächst mit viel Aufwand verbunden. "Aber es lohnt sich. Wir müssen versuchen, auch langfristig eine psychologische Versorgung von Flüchtlingen gewährleisten zu können."