«Es gibt noch ein Leben neben dem Bahnhof»

epd-bild/Sebastian Backhaus
Flüchtling Ahmed aus Syrien auf dem Gelände des THW in Passau. Er verlor im Krieg seine Beine.
«Es gibt noch ein Leben neben dem Bahnhof»

Der Flüchtlingsandrang an der österreichisch-deutschen Grenze reißt nicht ab. Die ehrenamtlichen Helfer kommen an die Grenze ihrer Kräfte. Sie brauchen mehr Unterstützung.
02.10.2015
epd
Dirk Johnen und Christiane Ried (epd)

Passau (epd)Unermüdlich eskortieren Beamte der Bundespolizei am Passauer Bahnhof Flüchtlinge aus den Zügen. Sie leiten sie durch den neuen, halbfertigen Fußgängertunnel unter den Gleisen zu einem abgesperrten Bereich direkt neben dem Bahnhofsgebäude. Dort werden die Neuankömmlinge von ehrenamtlichen Helfern begrüßt und in Pavillons mit Essen und Trinken versorgt.

"Die Zahl der Flüchtlinge ist nach wie vor sehr hoch und die Unterkünfte sind voll", sagt ein Sprecher der Bundespolizei. Vor wenigen Tagen erst diente ein abgestellter Zug als provisorisches Nachtquartier, damit die Flüchtlinge nicht im Freien schlafen mussten. Nach Angaben der Stadt Passau kommen täglich im Durchschnitt 4.000 Flüchtlinge in Passau an, davon etwa 2.500 mit dem Zug.

Am Ende der Kräfte

Die freiwilligen Helfer kommen langsam an ihre Grenzen: Viele sind schon tage- oder wochenlang dabei und versorgen die Flüchtlinge mit dem Nötigsten. "Die Situation ist angespannt", stellen Beobachter und Helfer übereinstimmend fest. Einige Freiwillige geraten ans Ende ihrer Kräfte, manche sind den Tränen nahe beim Anblick der müden, erschöpften Flüchtlingen.

Die Asylsuchenden müssten oft stundenlang einfach nur herumstehen, bis sie mit dem Zug oder Bus weiter in eine Erstaufnahmeeinrichtung kommen, erzählt Helferin Marion Leebmann. "Die sind völlig fertig und übermüdet." Es fehle an warmer Kleidung, wenn die Flüchtlinge nachts oder frühmorgens in der Kälte stehen. Meist kämen sie in T-Shirts und Sandalen an. Vor allem Babynahrung, Milchpulver und Getränke seien nicht immer ausreichend da. Aufgeben wolle sie nicht, auch wenn sie sagt: "So kann es nicht weiter gehen." Keine Hilfsorganisation sei vor Ort ist, die den Helfereinsatz professionell koordinieren und technisches Equipment zur Verfügung stellen könne.

Der Passauer Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) schlägt Alarm: "Wir befinden uns in einer sehr, sehr dramatischen Situation", sagte er am Freitag dem Radiosender Bayern2. Der Bund müsse die Stadt unterstützen - etwa mit winterfesten Unterkünften und einer besseren personellen Ausstattung der Bundespolizei vor Ort. Außerdem vermisse er eine klare Ansage darüber, wie die Weiterverteilung in andere Bundesländer organisiert werden solle. "Das sind die entscheidenden Dinge, die wir jetzt benötigen."

Gespräche mit den Freiwilligen

Unterdessen hat die Stadt einen Krisenstab eingerichtet. Die Koordinierungsstelle Ehrenamt ist für die Versorgung am Bahnhof zuständig. Der städtische Ehrenamtskoordinator Werner Lang vom Referat für Wirtschaft, Marketing und Arbeit der Stadt Passau spricht von einer "Ausnahmesituation". Passau sei aber gewappnet: Es sei bereits ein beheizbares Messezelt für mehrere hundert Flüchtlinge aufgestellt worden. Auch Decken und Winterkleidung gebe es. Die Kleiderkammern seien voll.

Aber auch Lang sagt, dass die Flüchtlingshelfer an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Die insgesamt rund 300 Freiwilligen bräuchten Unterstützung. Auch die Studierendenpfarrerin Sonja Sibbor-Heißmann warnt die ehrenamtlichen Helfer vor Selbstüberforderung: "Es gibt noch ein Leben neben dem Bahnhof." Sie bietet zusammen mit anderen Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern daher Gespräche mit den Freiwilligen an.

Bisher sind die Helfer einfach nur für die Flüchtlinge da - ähnlich wie schon bei der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2013 "packen viele junge Leute wieder mit an", lobt auch Sabine Aschenbrenner von der Diakonie Passau das freiwillige Engagement. Über das soziale Netzwerk Facebook haben sie mit der Gruppe "Passau verbindet" ihre Hilfe organisiert. Jeder kann so Möglichkeiten finden, zu helfen, zu spenden oder sich über aktuelle Lage informieren lassen.

Handy als einzige Verbindung

Der 20-jährige Benedikt, der Staatswissenschaften in Passau studiert, ruft unterdessen von seinem Handy den Bruder eines syrischen Flüchtlings an, der mit seiner Mobilfunkkarte in Deutschland nicht telefonieren kann. Benedikt erklärt schließlich dem jungen Mann, welche Karte er demnächst braucht. Der Syrer ist dankbar - denn ein Handy ist die einzige Verbindung der Flüchtlinge zu ihrer Heimat und ihrer Familie. Seinem Bruder kann er nun zumindest mitteilten, dass er sicher in Deutschland angekommen ist.