«Eine Geige ist dazu da, gespielt zu werden»

epd-bild/Debbie Hill
Der Geigenbauer Amnon Weinstein in seiner Werkstatt in Tel Aviv im Juni 2015. Er sammelt Geigen, gespielt von Juden während der NS-Zeit und restauriert sie.
«Eine Geige ist dazu da, gespielt zu werden»
Der Israeli Amnon Weinstein restauriert Instrumente aus dem Holocaust
Geigen, gespielt von Juden während der Verfolgung: Amnon Weinstein restauriert die Instrumente und sammelt ihre Geschichten. Der Geigenbauer will die Erinnerung an den Holocaust wachhalten. Und verarbeitet dadurch auch seine eigene Familientragödie.
07.09.2015
epd
Susanne Knaul (epd)

Tel Aviv (epd)Amnon Weinstein schleift einen Geigenboden, begutachtet das Holz und schleift weiter - behutsam und so langsam, dass die Reparatur eines einzigen Instruments viele Monate dauern kann. Der Kittel des 76-Jährigen ist voller Holzstaub, wie alles in seiner kleinen Werkstatt im Zentrum Tel Avivs: Hunderte von Instrumenten lagern hier: Die edleren Violinen bewahrt er in einer Glasvitrine auf, die einfachen hängen über dem Arbeitstisch und an den Wänden.

Instrumente aus Konzentrationslagern

Weinstein hat wilde graue Locken, sein Schnurrbart reicht bis an das Kinn, er trägt eine Nickelbrille. Während er sorgfältig weiterarbeitet, erzählt er von seinen Instrumenten. Er sammelt und restauriert Geigen aus der Zeit des Holocaust. Sie gehörten einst verfolgten Juden, einige wurden in Konzentrationslagern gespielt.

Eine wichtige Rolle für Weinstein spielt Jaakob Zimmermann, ein Geigenbauer, der Weinsteins Vater Mosche einst das Handwerk lehrte. Eine Geige aus Zimmermanns Werkstatt landete beim Musiker Schimon Krongold aus Warschau - «kein großartiger Virtuose», sagt Weinstein, «aber er spielte mit Leidenschaft».

Als die Deutschen in Polen einmarschierten, floh Krongold erst nach Russland, dann nach Taschkent, wo er an Typhus starb. Viele Jahre später klopfte ein Fremder in Jerusalem an die Tür von Schimon Krongolds Bruder Chaim. In der Hand hatte der Schimons Geige. 250 Dollar verlangte er für das Instrument, Chaim zahlte. Die Geige war für die Krongolds eines der wenigen Erinnerungsstücke an den Bruder und Onkel, von dem Weinstein noch ein Foto in seiner Werkstatt hat - mit seiner Geige in der Hand.

Überall an den Wänden der Werksatt hängen Fotos, einige zeigen bekannte Musiker wie Misha Maisky, Issak Stern, Shlomo Mintz. Eines trägt die Unterschrift: «für Dr. Amnon Weinstein». Er erzählt von den Streichern des Palestine Symphonie Orchestra, das Bronislaw Huberman 1935 in Tel Aviv gründete: «Die meisten seiner Musiker waren aus Deutschland gekommen, und sie brachten aus Sorge, dass sie hier niemanden für eventuelle Reparaturen finden würden, gleich mehrere Instrumente mit.»

Geister von 400 Angehörigen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges habe der Boykott angefangen: «Die jüdischen Musiker wollten nicht länger auf deutschen Geigen spielen», sagt Weinstein. Viele hätten seinem Vater die Instrumente gegeben, die sie sonst aus Wut über Deutschland zerschlagen hätten.

Auch viele Angehörige Weinsteins wurden von den Nazis ermordet. Sein Vater und seine Mutter waren die einzigen Überlebenden großer Familien. Und beide sprachen nicht darüber. «Am Esstisch saßen meine Eltern, wir zwei Geschwister und die Geister von 400 Angehörigen», sagt er mit bitterem Humor.

Das Sammeln von Geigen, die Juden während der Verfolgung gespielt hatten, und das Forschen nach ihren Geschichten ist für den Geigenbauer zum Weg geworden, die eigene Familientragödie zu verarbeiten. Und es ist ein Weg, um den Holocaust in Erinnerung zu halten. «Eine Geige spricht», sagt Weinstein, «mit Musik ist es viel leichter, die Geschichten zu erzählen. Die Leute hören zu.» In einem Buch über Weinsteins «Violinen der Hoffnung», wie er sie nennt, wird ein Überlebender zitiert: «Wir machten Musik, um zu überleben.»

Weinstein gilt als einer der Besten in seiner Branche, wie einst sein Vater und wie sein ältester Sohn, der die Tradition bewahrt. Geigen, Bratschen und Celli reparieren die Weinsteins. Die Instrumente aus dem Holocaust erreichten ihn bisweilen in so schlechtem Zustand, sagt Weinstein, «dass man sie besser gleich wegwerfen sollte oder einem Kindergarten schenken, wenn es nicht ihre Geschichte gäbe». Gerade diese Instrumente mit der düsteren Vergangenheit will er wieder herstellen: «Geigen sind dazu da, dass auf ihnen gespielt wird.»

Berliner Philharmoniker spielten auf Instrumenten

Weinstein behält sie alle. Dass die alten Instrumente für den Geigenbauer zu weit mehr als einem Hobby wurden, ist einem angehenden Bogenbauer aus Dresden zu verdanken, wie Weinstein erzählt. Der junge Deutsche habe vom Holocaust «so gut wie nichts gewusst», als er nach Tel Aviv kam. Bald forschte er selbst, wo die Geigen in Weinsteins Werkstatt herkommen und wer einst darauf spielte.

Ende der 1990er Jahre sprach Weinstein zum ersten Mal im Radio über sein Projekt. Er bat die Hörer, sich zu melden, wenn sie etwas wüssten über Geigen, die im Holocaust gespielt wurden. Damals meldeten sich auch die Krongolds aus Jerusalem bei ihm. Weinstein sah sofort, dass ihre Geige aus der Werkstatt von Jaakob Zimmermann kam. «Plötzlich hielt ich ein Instrument in der Hand, das der Lehrer meines Vaters gebaut hatte.»

Weinstein hält Vorträge, lässt seine Instrumente ausstellen und spielen. 24 Konzerte gab es schon. Besonders beeindruckt hat ihn ein Konzert Anfang des Jahres in Berlin: Die Berliner Philharmoniker spielten zum 70. Jahrestag der Auschwitzbefreiung. «Ich war so ergriffen davon, ich habe mich bis heute noch nicht beruhigt.» Als Weinstein aus Deutschland abreiste, hatte er zwei Geigen im Gepäck. «Eine aus Dachau und die andere aus Berlin.»