Die Einwände richteten sich auch gegen den nach derzeitigem Stand aussichtsreichsten Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Hier sähen die Experten einen möglichen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes. Denn es werde nicht klar, wie die geplante Unterscheidung zwischen einer verbotenen geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe mit Wiederholungsabsicht und einer erlaubten Sterbehilfe im Einzelfall aus selbstlosen Motiven getroffen werden könne.
Handeln Ärzte gewerbsmäßig?
Der Wissenschaftliche Dienst verweist laut "Welt" auf Palliativmediziner in Hospizen sowie Ärzte auf Intensivstationen. Diese Ärzte "könnten regelmäßig aus einem ohnehin bestehenden Behandlungsverhältnis dazu übergehen, ihre Patienten auch hinsichtlich der Sterbehilfe zu beraten und Medikamente zu verschreiben". Sofern diese Ärzte "auf die Wünsche ihrer Patienten eingingen, wäre schnell die Schwelle erreicht, bei der auch das Leisten von Sterbehilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit würde". Somit wäre es unmöglich, bei diesen Ärzten zwischen dem erlaubten Einzelfall und der strafbaren Wiederholungsabsicht zu unterscheiden. Daher sei "zweifelhaft", ob der Antrag von Brand und Griese "dem verfassungsrechtlich geforderten Bestimmtheitsgebot genügt", heißt es.
Ähnliche Bedenken gebe es bei dem Vorschlag, nur die kommerzielle ("gewerbsmäßige") Suizidhilfe mit Gefängnis zu bestrafen. Auch bei diesem Entwurf einer Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) sehe der Wissenschaftliche Dienst verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgebotes. Denn Ärzte würden grundsätzlich gewerbsmäßig handeln, auch bei der Beratung von Patienten mit Sterbewünschen. Somit könne "sich bereits durch die allgemeine ärztliche Vergütung ein gewerbsmäßiges Handeln" ergeben, das der Entwurf von Künast und Sitte den Ärzten verbieten will.
Verfassungsrechtliche Bedenken äußern die Bundestagsjuristen der Zeitung zufolge zudem gegen den Entwurf einer Gruppe um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), der mit einer regulierten Zulassung ärztlicher Hilfe zur Selbsttötung Sterbehilfe-Verbote im ärztlichen Standesrecht außer Kraft zu setzen. Für solche Eingriffe in das den Bundesländern obliegende Standesrecht fehle dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz, wird argumentiert.
Die rechtpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katja Keul, folgerte aus den Gutachten, der Bundestag dürfe keinem Entwurf zustimmen und sollte das geltende Recht unangetastet lassen: "Allein die aktuelle Rechtslage garantiert Ärzten Straffreiheit bei der Sterbehilfe", sagte Keul der "Welt". Zur ersten Lesung im Juni lag dem Bundestag zudem ein Antrag des CDU-Politikers Patrick Sensburg vor, der ein weitgehendes Verbot der Hilfe zur Selbsttötung anstrebt.