Herr Diener, Sie haben vor einigen Tagen für Aufmerksamkeit gesorgt, als Sie den EKD-Ratsvorsitzenden gegen Kritik aus evangelikalen Kreisen in Schutz genommen und zu Sachlichkeit gemahnt haben. Anlass war die Mitwirkung von Landesbischof Bedford-Strohm im Kuratorium des Münchner Forum für Islam. Was hat Sie dazu bewegt?
Michael Diener: Vor meiner Äußerung konnte der Eindruck entstehen, die "evangelikale Welt" lehne diesen Schritt von Landesbischof Bedford-Strohm "entrüstet" ab. Mir war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass das im weiten evangelikalen Raum unterschiedlich betrachtet wird und dass wir mit dem Dokument "christliches Zeugnis in multireligiöser Welt" eine gemeinsame Grundlage haben. Wir werden darin als Christen zum klaren Zeugnis für unseren Glauben ermutigt und darauf hingewiesen, dass dieses Zeugnis in Liebe und Respekt vor anderen Überzeugungen geschehen muss. Zu "Liebe und Respekt" gehören, laut diesem wichtigen Dokument, auch der Dialog mit andern Religionen und die Zusammenarbeit in der Zivilgesellschaft. Deshalb kann man den Schritt des Landesbischofs in das Kuratorium eines Islamischen Zentrums selbstverständlich dennoch als zu weitgehend ablehnen, ihn als "unevangelisch" geißeln oder eine Rücknahme fordern, das ging mir aber eindeutig zu weit.
Wie verlaufen denn die Konfliktlinien im evangelikalen Bereich, wenn es um die Haltung zum Islam geht?
Diener: Ein Kennzeichen der evangelikalen Bewegung ist gewiss, dass sie am universalen Heilsanspruch Jesu Christi festhält. Jesus Christus ist das Heil für die ganze Welt und alle Menschen. Darin, denke ich, sind wir uns allesamt einig. Was daraus für den Umgang mit anderen Religionen folgt, da gibt es Unterschiede. Für die Einen sind Begegnung und Dialog sowie Zusammenarbeit in Fragen des Gemeinwohls eine Selbstverständlichkeit, für andere ist es wichtig, den "Abstand" möglichst zu wahren. Viele Evangelikale möchten Menschen muslimischen Glaubens gerne in unsere freiheitlich demokratische Gesellschaft integrieren helfen und erleben auch, dass das möglich ist. Andere sehen muslimische Menschen sehr stark durch die "Brille des Islamismus" und vom Umgang des Islam mit Minderheiten her und möchten deren Zuwanderung möglichst begrenzen. Die Einen sehen "Kultur" als ständig im Wandel und stehen zu diesem Prozess, den wir mutig mitgestalten sollten, die anderen fürchten um das "christliche Abendland". Und viele stehen einfach "dazwischen" - das macht es komplex, ist aber meines Erachtens nicht anders, als im gesamten evangelischen Bereich.
Die evangelische Kirche hat vor wenigen Wochen einen Grundlagentext zu religiöser Vielfalt vorgelegt, der eine Abwertung anderer Religionen ablehnt. Offenheit für andere Religionen sei kein Bekenntnis zur Beliebigkeit, sondern stärke die evangelische Identität. Empfehlen Sie dies auch als Maxime im evangelikalen Bereich?
Diener: Ja, das ist doch im Grunde selbstverständlich. Wahrnehmung der Welt und der Menschen, wie sie sind, also auch mit ihren religiösen und kulturellen Prägungen, ermöglicht doch erst Begegnung. Es kann doch gar kein christliches Zeugnis ohne diese Begegnung geben. Und ich begrüße es ausdrücklich, dass zum Dialog das klare und überzeugte, zugleich liebevolle Einstehen für die eigene Überzeugung gehört. Die Offenheit für andere Religionen schließt für uns im evangelikalen Bereich allerdings Religionsvermischung und Religionspluralismus in der Heilsfrage aus.
Theologisch konservative Gruppen haben vor wenigen Tagen in einem offenen Brief den Hamburger Propst Horst Gorski aufgefordert, sich öffentlich von früheren Äußerungen zur Kreuzestheologie zu distanzieren. Gorski wird im September Vizepräsident im Kirchenamt der EKD und Leiter des Amts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche. Halten Sie dieses Vorgehen für hilfreich oder sollte nicht vielmehr das theologische Gespräch gesucht werden?
Diener: Ach, soll ich dazu etwas sagen? Ich sage Ihnen einfach mal, wie ich auf "offene Briefe" reagiere. Ich lese sie und wäge sie ab - ich kann immer dazulernen. Aber ich antworte nie, denn "offene Briefe" sind ja "eigentlich" für die "Öffentlichkeit" bestimmt und nicht für den Adressaten. Das persönliche Gespräch führt eindeutig weiter, auch das persönliche Schreiben. Und wenn diese persönlichen Kontakte keine Klärung schaffen, werden es die "offenen Briefe" auch nicht tun. Deshalb stehe ich diesem Instrument kritisch gegenüber, ganz egal, wer sie schreibt. Ich gebe aber zu, ich habe auch schon ganz selten mal einen offenen Brief geschrieben - mit genau den oben geschilderten Ergebnissen.
Welches Gewicht in der Evangelischen Allianz haben die Bekenntnisgemeinschaften, die sich lautstark zu Wort melden?
Diener: Der Reichtum der Evangelischen Allianz ist ihre Vielfalt. Im Verständnis und in der Auslegung des Evangeliums teilen wir eine gemeinsame Grundlage und in vielen anderen Fragen soll wirklich Freiheit herrschen. Die sogenannten "Bekenntnisevangelikalen" sind eine zahlenmäßig eher kleine, aber inhaltlich wichtige Gruppe innerhalb der Evangelischen Allianz. Und ich bekenne mich dazu, dass ich wirklich eher "progressive und eher konservative Evangelikale" zusammen halten möchte - das schließt gegenseitiges Ermutigen und Ermahnen ausdrücklich mit ein.