"Netzpolitik"-Affäre: Merkel und Altmaier waren früh über Anzeigen informiert

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Chef des Bundeskanzleramtes Peter Altmaier (CDU) vor einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Foto: dpa/Maurizio Gambarini
"Netzpolitik"-Affäre: Merkel und Altmaier waren früh über Anzeigen informiert
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU) wussten offenbar persönlich frühzeitig über drohende Ermittlungen gegen "Netzpolitik.org" Bescheid. Beide seien über die Anzeigen von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen informiert gewesen, berichtet der "Tagesspiegel" (Online-Ausgabe) unter Berufung auf einen Regierungssprecher.

Maaßen hat demnach am 21. und 22. April bei Gremiensitzungen im Kanzleramt von seinen Strafanzeigen erzählt. Bislang hatte das Kanzleramt nur mitgeteilt, Ende Juli aus den Medien von den Ermittlungen gegen die Blogger erfahren zu haben. Eine Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), ob Merkel und Altmaier auch früher als bislang bekannt von dem Ermittlungsverfahren wussten, ließ die Bundesregierung bislang unbeantwortet.

Der im Zuge der Affäre entlassene Generalbundesanwalt Harald Range hatte nach den Anzeigen von Maaßen seit dem 13. Mai gegen die "Netzpolitik.org"-Blogger Markus Beckedahl und André Meister sowie gegen deren unbekannte Informanten wegen Landesverrats ermittelt.

Ermittlungen nach massiver Kritik eingestellt

Am 30. Juli war öffentlich bekannt geworden, dass Range gegen die Journalisten ermittelte. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte daraufhin öffentlich Zweifel an dem Vorwurf des Landesverrats geäußert. Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) stellten sich hinter Maas. Die Ermittlungen wurden am Montag nach massiven öffentlichen Protesten und Kritik aus dem Bundesjustizministerium eingestellt. Gegen die Informanten des Blogs wird aber von der Staatsanwaltschaft Berlin weiter wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen ermittelt.

Der Verfassungsschutz betont in der aktuellen Debatte stets, die Anzeigen hätten sich lediglich gegen die unbekannten Informanten und nicht gegen die Journalisten selbst gerichtet. Allerdings wurden Beckedahl und Meister in den Anzeigen namentlich genannt. Erwähnt wurde auch das Vertrauensgremium des Bundestags, das mit den von "Netzpolitik.org" veröffentlichten Dokumenten befasst war. Mögliche Quellen aus den eigenen Reihen gab der Verfassungsschutz aber offenbar nicht an die Ermittler weiter.

"Affäre hat Vertrauen in Demokratie und Pressefreiheit nachhaltig beschädigt" (von Notz)

"Die Bundesregierung suggerierte bislang immer, sie habe von den Anzeigen erst sehr spät erfahren", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Konstantin von Notz. "Durch die Billigung des Vorgehens des Bundesamts für Verfassungsschutz trägt das Bundeskanzleramt eine direkte Mitverantwortung an dem weiteren Verlauf der Affäre, die das Vertrauen in Demokratie und Pressefreiheit nachhaltig beschädigt hat", kritisierte er. Die Bundesregierung müsse jetzt alle Informationen auf den Tisch packen.

Der Verfassungsschutz hatte seine Anzeigen mit dem Bundesinnenministerium abgesprochen. Nach Ministeriumsangaben war nur die zuständige Staatssekretärin Emily Haber informiert, nicht aber Minister de Maizière. Auch das Justizministerium wusste früh über die Vorwürfe Bescheid. Dem "Tagesspiegel"-Bericht zufolge erfuhr das Ministerium am 21. April bei einer Dienstbesprechung, dass der Generalbundesanwalt Ermittlungen prüfe. Nach eigener Darstellung hat das Ministerium der Bundesanwaltschaft von Ermittlungen abgeraten.

Dritter Fall von Ermittlungen gegen Journalisten wegen "Landesverrat"

Die Blogger hatten in zwei Artikeln als "Verschlusssache vertraulich" eingestufte Papiere des Verfassungsschutzes veröffentlicht und über Pläne zum Ausbau der Internetüberwachung berichtet. Gegen Journalisten war in der Geschichte der Bundesrepublik vorher nur zweimal wegen Landesverrats ermittelt worden: In den 60er Jahren gegen den "Spiegel" und 1982 gegen die Zeitschrift "Konkret".