Keiner reißt freiwillig eine Kirche ab. Auch nicht Superintendent und Schmachtendorfer Pfarrer Joachim Deterding. "Die Kirche im Dorf lassen" ist ein altes Sprichwort, heute immer noch geläufig. Doch die Zukunft des evangelischen Gotteshauses im Stadtteil Schmachtendorf des nordrheinwestfälischen Oberhausens ist ungewiss. Noch läuten die Glocken der Kirche aus der Kaiserzeit weit über die Dächer der Stadt. Aber wie oder ob es überhaupt mit dem Gotteshaus weitergeht, wird in Oberhausen immer lauter diskutiert.
Schmachtendorf ist ein Beispiel stellvertretend für viele andere Kirchengemeinden in Deutschland. Weil immer mehr Gläubige fehlten und mit ihnen das Geld in der Kirchenkasse, mussten 2007 die Oberhausener Nachbargemeinden Schmachtendorf und Königshardt miteinander fusionieren. 2010 wurde die neue Großgemeinde von der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) aufgerufen, ihre Immobilien zu prüfen und gegebenenfalls zu verkaufen. Mit der Fusion hatte die neue Gemeinde zwei Kirchen und zwei Gemeindezentren. Also jeweils eins zu viel. Der Plan, alle Gebäude aufzugeben und einen neuen zentralen Ort der Begegnung für die Großgemeinde zu schaffen, wurde verworfen, weil er zu teuer gewesen wäre.
Nach langem Abwägen hatte sich das zuständige Presbyterium dafür entschieden, die ältere und sanierungsbedürftige Kirche in Schmachtendorf aufzugeben. Dafür bleibt ihr großes Gemeindezentrum erhalten. In Königshardt hingegen soll das modernisierungsbedürftige Gemeindehaus verkauft werden, dafür aber die 1957 errichtete Kirche am Buchenweg für die Gottesdienste genutzt werden. Im Gegensatz zur historischen Kirche habe die Nachkriegskirche einen großen, hellen Raum, der von der Gemeinde auch flexibel genutzt werden könne, erklärt Landeskirchenrätin Gudrun Gotthardt von der EKiR, verantwortlich für das Dezernat "Bauen und Liegenschaften" diese Entscheidung, "während die ältere Kirche sanierungsbedürftiger ist, Bergbauschäden aufweist und einen viel größeren Energieverbrauch hat." Auch wegen der besseren Akkustik sollten in naher Zukunft alle kirchenmusikalischen Veranstaltungen in der jüngeren Kirche stattfinden, sagt Pfarrer Deterding.
"Mein Wunsch wäre ein Altenheim"
Entschieden ist das alles aber noch nicht endgültig, In der Gemeinde regt sich Widerstand, und außerdem läuft noch ein Verfahren zum Denkmalschutz. Die Backsteinhallenkirche in Schmachtendorf wurde 1905 erbaut und ein Jahr später eingeweiht. Mit dem Pfarrhaus bildet sie den Mittelpunkt der örtlichen Bergarbeitersiedlung, die vor und zu Beginn des Ersten Weltkrieges um sie herum entstand. Die Emporen und die Decke der Kirche sind aus Holz, die Basalttreppe ist gut erhalten. Bereits Mitte der 1980er Jahre wurde der Denkmalwert schon einmal seitens des damaligen Rheinischen Amtes für Denkmalpflege festgestellt, aber nicht eingetragen. Denkmalpflege ist Ländersache und von Bundesland zu Bundesland wird unterschiedlich entschieden, was als schützenswert anerkannt wird. Generell besteht an Erhaltung und der Nutzung des Baudenkmals ein öffentliches Interesse. Am 3. Februar 2015 hat ein Gutachten vom LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland den Denkmalwert der Kirche erneut festgestellt. Es liegt der Stadt Oberhausen vor. Aber erst wenn die Eintragung in die Denkmalliste bei der Kommune tatsächlich erfolgt ist, gilt der Bau auch rechtskräftig als Denkmal. Dieser Schritt steht aber seitens der Stadt Oberhausen noch aus.
"Zwar hat die Denkmalbehörde Einfluss auf den Erhalt schützenswerter Bausubstanz, nicht aber darauf, ob die Kirche weiterhin als Gotteshaus oder Gebets- und Andachtsstätte genutzt wird", sagt Sabine Cornelius vom LVR-Armt für Denkmalpflege im Rheinland. Ihr wäre es am liebsten, das Baudenkmal weiter so zu nutzen wie bisher. Landeskirchenrätin Gudrun Gotthardt sieht es ähnlich: "Nur die bloße Hülle zu behalten ist ja auch nicht sinnvoll, wenn keine kirchliche Nutzung mehr stattfindet", sagt sie und hält wie Joachim Deterding auch einen Umbau der Kirche beispielsweise in einen Supermarkt oder in eine Sparkasse für unwürdig. Die Lage sei sehr verzwickt und die Gemeinde sehr verzweifelt, erzählt Gotthardt weiter.
"Mit Wohnungen hätte ich inhaltlich gar keine Schwierigkeiten", sagt Superintendent und Schmachtendorfer Pfarrer Deterding. "Meine Wunschvostellung wäre ein Altenheim. Ein Ort, an dem sich um Menschen gekümmert wird. Das ist einer Kirche angemessen."
Sabine Cornelius vom LVR-Armt für Denkmalpflege im Rheinland graust davor, wenn eine Kirche in einzelne Wohnungen unterteilt würde, "weil dann der Raum überhaupt nicht mehr erlebbar ist". Zumal nötige Um- und Anbauten nicht mehr rückgängig zu machen seien. Wenn die Kirche das Gebäude aber nicht halten kann, müsse eine andere wirtschaftliche Nutzung gefunden werden, sagt sie. Gut hingegen gefällt ihr die Idee, den Kirchenraum für Konzerte oder als Kletterpark zu nutzen. "Dann bleibt der Raum erhalten und die Kletterwände aus Holz könnten irgendwann wieder entfernt werden und man hätte wieder eine Kirche." Cornelius erinnert an die Zeit Napoleons, als Kirchen entweiht und als Pferdeställe genutzt wurden. Später riss man die Boxen wieder heruaus und hatte eine funktionierende Kirche. Sie mahnt: "Wenn die Kirche einmal weg ist, ist sie weg."
Manche aufgegebenen Kirchen werden in Deutschland auch als Urnenbegräbnisstätte genutzt. "Das wird aber wirtschaftlich bei uns nicht funktionieren. Das haben wir bereits prüfen lassen", sagt Deterding. Als Denkmal drohe der Kirche aber der Verfall, befürchtet der Pfarrer. "Wenn die Kirche unter Denkmalschutz gestellt wird, kann es sein, dass uns nur noch der Abriss übrig bleibt und eine alternative Nutzung einfach nicht mehr möglich ist." Zentral ist für ihn, dass die Stadt klar stellt, welche Nutzungspläne von ihr genehmigt oder wegen des Wohngebiets nicht genehmigt werden können. "Einiges funktioniert nicht, weil wir keine Betriebsgenehmigung bekämen. Dazu zählt auch die Idee, die Kirche zu einem Altenheim umzubauen. Das hat mit der Enge der Straßen hier zu tun", schildert Deterding die Lage vor Ort. Weil die Kirche mitten im Wohngebiet steht, würde vermutlich von der Stadt Oberhausen auch keine Kulturkirche oder ein Kletterpark genehmigt werden.
Werden Sakralbauten immer weiter aus dem Stadtbild verschwinden? Martin Amonn, Leiter des Stiftungsbüros der "Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland" (Stiftung KiBa) weiß, dass zwischen 1990 und 2012 in Deutschland 87 Kirchen abgerissen und 225 verkauft wurden. Trotzdem verschwindet der sakrale Raum nicht aus Städten und Dörfern, im Gegenteil: im gleichen Zeitraum wurden 412 Kirchen neu gebaut und weitere 157 Gotteshäuser seien durch Sanierung, Schenkung oder Zukauf hinzugekommen.
Was heißt das für Schmachtendorf? Martin Amonn kennt die Kirche in Schmachtendorf nicht, ist sich aber sicher: "Eine Kirche dieser Wertigkeit ist ein Gebäude, das reißt man nicht einfach ab. Was sein kann ist, dass man die Kirche nicht als Kirche halten kann." Er gibt zu bedenken: "So ein Abriss ist übrigens auch eine teure Angelegenheit."
Kirche steht vor einem Rückbau
Die Grundentscheidung des Presbyteriums für die Aufgabe des Baus sei lobenswert, weil sie besagt, dass die Kirche sich aus finanziellen Zwängen eher von Gebäuden als von hauptamtlichen Mitarbeitern verabschieden wolle, bewertet Deterding die Situation. Die Alternative wäre gewesen, einen Kindergarten oder ein Jugendhaus zu schließen. 1968 lebten in Oberhausen 128.000 Protestanten. Heute, im Jahr 2015, gibt es noch knapp 56.000 Evangelische. Das sind weniger als die Hälfte. Sie haben aber dennoch die selbe Anzahl an Kirchen und weitere kirchliche Gebäude. "Wir haben mal mit einem Zelt in der Wüste angefangen. Theologisch gesehen dürfen wir nicht unsere Existenz an die eines Gebäudes hängen."
Die evangelische Kirche stehe vor Herausforderungen und sei gerade dabei einen Rückbau zu organisieren. Deterding bezeichnet dies als historische Aufgabe. "Wir haben in der Evangelischen Kirche im Rheinland immer weniger Theologen. Wir werden damit rechnen müssen, dass wir im Jahr 2030 noch die Hälfte an Pfarrstellen im Vergleich zu heute haben. Demnach müssen wir die Anzahl der Gottesdienste drastisch reduzieren. Die Hälfte der Pfarrer kann nicht die selbe Arbeit machen wie jetzt."
Weil die evangelische Kirchengemeinde aber die Kosten für eine Sanierung der historischen Kirche nicht tragen kann und sich der Bau vermutlich auch nicht verkaufen lässt, spricht die Kirchengemeinde mittlerweile vom Abriss des Gotteshauses, auch wenn das historische Gebäude unter Denkmalschutz gestellt werden sollte. Die Idee ist, Platz für Wohnbebauung zu schaffen. Wenn die Gemeinde nachweist, dass sie das Gotteshaus finanziell nicht halten kann, könnte das Gotteshaus bei einem möglichen Verkauf abgerissen werden.
Nun ist Schmachtendorf nicht reich mit Baudenkmälern gesegnet. Widerstand gegen den geplanten Abriss der Kirche macht sich breit. "Die Protestbewegung steht erst am Anfang", sagt Tobias Szcepanski, Aktivist der Facebook-Gruppe "Kirche im Dorf lassen – Nein zum Abriss der evangelischen Kirche Schmachtendorf". Inzwischen äußerten immer mehr Schmachtendorfer den Wunsch, dass ihre Kirche stehen bleiben müsse, da sie zum Dorf gehöre und die Siedlung überhaupt erst um die Kirche herum errichtet wurde, sagt Szcepanski. Dafür will er Unterschriften sammeln. Am 13. September 2015 ist Oberbürgermeisterwahl in Oberhausen. Der Zeitpunkt für einen lauten Protest für den Erhalt des Kirchengebäudes könnte nicht günstiger sein. Derzeit werden noch beide Kirchen genutzt. Wie die Geschichte ausgehen wird, ist völlig offen. Superintendent und Pfarrer Joachim Deterding plädiert für den weiteren Austausch von Argumenten und Nutzungsideen. Trotzdem weiß er schon jetzt: "Es wird Leute geben, die wir verletzen, so oder so. Aber nicht zu entscheiden, ist auch nicht der richtige Weg."