Höllenmaul und Seelenwaage

Das Höllenmaul ist eines von zahlreichen Motiven, mit der die kleine Pfarrkirche in Lieberhausen bei Gummersbach geschmückt ist.
Foto: epd/Jörg Decker
Das Höllenmaul schmückt die kleine Pfarrkirche in Lieberhausen bei Gummersbach.
Höllenmaul und Seelenwaage
Die "Bunten Kirchen" im Oberbergischen Land haben ihren Namen von den farbenfrohen Wandmalereien. Abgebildet sind nicht nur mahnende Bilder von Weltgericht oder Höllenschlund, sondern auch humorvolle Szenen: etwa ein Dudelsack spielendes Schwein.
02.08.2015
epd
Frank Bretschneider

Die Wandmalerei aus dem Mittelalter macht auch heute noch Eindruck: Wird die Frau, die da verloren in der Waagschale sitzt, gerettet werden oder gewinnen die Mächte der Finsternis? Gleich fünf Teufel versuchen, mit ihrem Gewicht die Seelenwaage nach unten zu ziehen und die Frau so zur Hölle zu verdammen. Doch die Kräfte des Guten sind stärker: Mit einer leichten Bewegung drückt Maria die Waage herunter und sorgt dafür, dass die arme Seele in den Himmel kommt.

Die Seelenwaage ist eines von zahlreichen Motiven, mit der die kleine, von außen unscheinbar wirkende Pfarrkirche im Örtchen Lieberhausen bei Gummersbach ausgeschmückt ist. Sie gehört zu einem Quintett von fünf protestantischen "Bunten Kirchen" im östlichen Oberbergischen Land in Nordrhein-Westfalen, die mit ihren farbenfrohen mittelalterlichen Fresken ein ganz besonderes Ambiente bilden. Die anderen Gotteshäuser finden sich in den Gemeinden Marienberghausen, Wiedenest, Müllenbach und Marienhagen.

Die "Bonten Kerken", wie sie im regionalen Dialekt genannt werden, stammen aus dem 12. Jahrhundert und gelten im Bergischen auch als "Armenkirchen". Demnach richteten sich die ab dem 14. Jahrhundert entstandenen Wandmalereien an die ländliche Bevölkerung, die überwiegend weder lesen noch schreiben konnte. Die Bilder spiegeln als "Armenbibel" das theologische Lehrprogramm wider - in Form eines Bilderbuchs.

Gläubige sollten ihren Lebenswandel und ihre Existenz überdenken

Für die Kunsthistorikerin Verena Kessel, die über die Bunten Kirchen ein Buch veröffentlicht hat, ist das aber nur eingeschränkt richtig: "Die Motive waren auch für die Gebildeten da." Denn unabhängig vom Bildungsstand konnte sich wohl kaum jemand seinerzeit den einprägsamen Darstellungen vom Weltgericht, den zehn Geboten oder der Geschichte der zwölf Apostel entziehen. "Die Gläubigen hatten die Bilder im Gottesdienst vor Augen und wurden dazu aufgefordert, ihren Lebenswandel und ihre Existenz zu überdenken", sagt Kessel.

So zum Beispiel beim Anblick des Höllenmauls, das sich sowohl in Lieberhausen als auch in Wiedenest findet. Arme Seelen werden da brutal aus ihren Gräbern gezerrt und zum Schlund der Hölle gezogen, wo sie von gleich mehreren Teufeln in Empfang genommen werden. Dabei sind alle Stände vertreten - Könige und Bischöfe ebenso wie Edelleute und das einfache Volk.

Es durfte auch geschmunzelt werden

Bemerkenswert ist aus Sicht der Kunsthistorikerin, dass in den Bunten Kirchen neben der dramatischen Bilderpracht auch Humorvolles seinen Platz gefunden hat. In Marienberghausen ist abgebildet, wie ein Jäger ein Eichhörnchen schießen will, das sich die Ohren zuhält. An anderer Stelle spielt ein Schwein fröhlich einen Dudelsack. "Es durfte also auch geschmunzelt werden", sagt Kessel.

Dass die Wandmalereien der Bunten Kirchen heute noch in ihrer Farbenpracht komplett zu bestaunen sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Reformation brachte im 16. Jahrhundert den Protestantismus auch ins Oberbergische Land. Im Zuge des reformatorischen Bildersturms, als europaweit Gemälde und Skulpturen aus den protestantisch umgewidmeten Kirchen entfernt wurden, war es auch um viele der katholischen Fresken in den oberbergischen Gotteshäusern geschehen - sie wurden übertüncht.

Erst 1932 wiederentdeckt

So verschwanden etwa die Wandmalereien in Wiedenest und Müllenbach. Sie wurden erst 1932 wiederentdeckt und später restauriert. Andernorts, etwa in Lieberhausen, wurden schriftliche Kommentare oder weitere Motive ergänzt. Als einmalig im Rheinland gilt, dass in Lieberhausen dadurch vor- und nachreformatorische Malereien nebeneinander stehen. Um 1850 wurden die Bilder dann auch in Lieberhausen übermalt - allerdings, weil sie den Dorfbewohnern nicht mehr gefielen. Auch hier erfolgte später eine Restaurierung.

Heute ist die Region stolz auf ihre bunten Kirchen, die meist im Ensemble mit Fachwerkhäusern stehen und zu Tagesausflügen einladen. Inzwischen ist das Kirchen-Quintett auch ein Beispiel für funktionierende Ökumene im Alltag. Die katholische Thomas-Morus-Akademie in Bensberg veranstaltet mit den fünf evangelischen Kirchengemeinden einmal im Jahr das Festival "Bunte Kirchen". Beiträge zu Kunst, Geschichte, Literatur und Musik lassen die Kleinode dann mit ihrer Geschichte lebendig werden.