"Und beide Seiten haben recht mit ihrem Misstrauen", sagte Lammer und beschrieb die Situation aus seiner Sicht: Die Bürger versuchen, die Steuerzahlungen zu umgehen, weil sie den Politikern Korruption und Misswirtschaft vorwerfen. Und die Politiker erhöhen die Steuern, damit wenigstens ein Teil beim Staat ankommt. Lammer leitet die Gemeinde am Rande des Zentrums von Athen seit fünf Jahren.
Ein Schritt zu mehr Vertrauen könnte nach Ansicht des Pfarrers ein konsequentes Verhalten von Ministerpräsident Alexis Tsipras sein. Tsipras habe angekündigt, dass er ein "Ja" der Griechen zum Sparpaket der Gläubiger beim Referendum am Sonntag nicht umsetzen werde, er wolle stattdessen zurücktreten. Ein solches Verhalten wäre konsequent, sagte Lammer. Und es würde die Menschen im gewissen Sinne positiv irritieren, weil dann ein Politiker nach der Wahl das täte, was er vor der Wahl angekündigt habe.
Die Stimmung im Land habe sich nach dem Aus für das Rettungspaket am vergangenen Samstag verändert, sagte Lammer. In den vergangenen Wochen sei "von dem Hype" aus den ausländischen Medien in Griechenland selbst kaum etwas zu spüren gewesen. Doch jetzt "kribbelt es unter der Oberfläche, alles starrt auf den Sonntag und das Referendum". Die Situation sei "unruhig und unsicher und völlig offen".
Er selbst habe "Angst, dass die große Krise erst noch bevorsteht, die Verelendung wird auch auf die Mittelschicht durchschlagen". Das gelte auch für viele der rund 450 Gemeindemitglieder, die der Mittelschicht angehören. Auch ihnen seien schon vor Jahren die Renten und Gehälter im Durchschnitt um ein Drittel gekürzt worden. Sie hätten bisher, so wie viele aus dem griechischen Mittelstand auch, von ihren Reserven gelebt. Doch auch die seien endlich. Erst kürzlich habe eine Frau ihm erzählt, dass sie nun ihren Schmuck verkauft habe, berichtete der Seelsorger. Viel besser gehe es hingegen den Menschen, die ihre Rente aus Deutschland bekommen.
Von aktuellen Auswanderungsplänen der deutschstämmigen Gemeindemitglieder habe er in den vergangenen Tagen nichts gehört. Eine erste Ausreisewelle habe es 2012 gegeben, sagte Lammer. Doch einige Leute hätten angekündigt, dass sie auf jeden Fall das Land verlassen, wenn die Drachme wieder eingeführt werden würde.