Freitag Abend in einem unauffälligen Ladenlokal in Berlin-Kreuzberg. Zwanzig Männer aus Afghanistan nehmen vor einer improvisierten Bühne Platz, einige von ihnen wollen unbedingt in den hinteren Reihen sitzen, damit sie auf Fotos und Filmbildern nicht erkannt werden können. In Afghanistan haben sie als Fahrer, Übersetzer oder als Wachpersonal für die deutsche Bundeswehr gearbeitet und werden deswegen von den Taliban bedroht. Dreihundert von ihnen durften mit ihren Familien aufgrund konkreter Morddrohungen bereits nach Deutschland ausreisen. Aber wie geht es weiter mit diesen Menschen, die in Afghanistan im Dienste Deutschlands ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben? Sie sind zusammengekommen, um Antworten auf ihre Fragen zu finden.
Zwar hat die Bundeswehr Anfang des Jahres ein Patenschaftsprogramm gestartet, bei dem Freiwillige sich – ausdrücklich außerhalb ihrer Dienstzeit – um die ehemaligen afghanischen Bundeswehrmitarbeiter kümmern sollen. "Das ist aber bei weitem nicht genug", sagt Juliane Meyer-Clason, die unlängst das ehrenamtliche "Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte" mitbegründet hat. Es soll den früheren afghanischen Bundeswehrhelfern dabei helfen, in Deutschland Fuß zu fassen.
"In dem Maße, in dem wir eine vom Parlament beauftragte Armee haben, das heißt letztlich eine vom Wähler beauftragte Armee, verstehe ich das, was ich hier tue, als eine Bürgerpflicht", betont Meyer-Clason. Bei den wöchentlichen Treffen des Vereins können die Afghanen Fragen stellen, die für ihren Alltag wichtig sind: Wo bekomme ich Hilfe für schwangere Frauen? Wie finde ich eine Wohnung, und wehr bezahlt die Kaution? Wo kann ich nach Arbeit suchen? Was muss ich tun, um an einer deutschen Universität studieren zu können?
Angst vor den Seilschaften der Taliban
Fragen, die sich auch der 24-jährige Ena Yatullah stellt. Vier Jahre lang hat er für die Bundeswehr in Masar-e Scharif als Englisch-Dolmetscher gearbeitet. Vor einem Jahr ist er mit seiner Frau nach Deutschland ausgereist, nachdem die Taliban ihn und seine Familie bedroht haben. "Meinen Bruder haben sie einen Monat lang verschleppt, und ich wäre der Nächste gewesen. Für uns ist es lebensgefährlich in Afghanistan", sagt Yatullah. Aus Angst, dass Seilschaften der Taliban ihn auch in Deutschland verfolgen könnten, will er nicht fotografiert werden. Seit ihrer Ankunft in Deutschland bewohnt er mit seiner Frau ein Zimmer in einem Auffanglager in einem Berliner Außenbezirk.
Siebenhundert Flüchtlinge aus 31 Nationen wohnen hier, davon etwa 60 ehemalige afghanische Bundeswehrangestellte. "Ich bedanke mich zuerst bei der Bundeswehr, dass sie uns nach Deutschland geholt hat. Aber wir wollen mehr. Für uns ist es wichtig, dass wir eine Wohnung haben. Wir lernen Deutsch und wir möchten studieren. Dazu braucht man eine Wohnung oder einen ruhigen Ort", sagt Yatullah, der in Afghanistan neben seinem gut bezahlten Job für die Bundeswehr einige Semester Informatik studierte.
Im Auffanglager ist ein Sozialarbeiter für 80 Personen verantwortlich, da bleibt für konkrete Lebenshilfe kaum Zeit. "Deswegen muss die Gesellschaft Verantwortung übernehmen", meint Meyer-Clason. Ihre intensive Suche nach einer Wohnung für ihren Paten Ena Yatullah und seine Frau war bisher erfolglos. Das besondere Schicksal der afghanischen Bundeswehrhelfer ist den wenigstens Deutschen bewusst.
Immerhin: Am Mittwoch fand in Berlin ein parlamentarischer Abend mit Vertretern des Bundestags und der Bundeswehr statt, bei dem zwei ehemalige afghanische Ortskräfte eine Rede hielten. Auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen war anwesend. Die Afghanen und ihre Unterstützer vom Patenschaftsnetzwerk setzen ihre Hoffnung darauf, dass damit sowohl Politik als auch Öffentlichkeit auf sie aufmerksam werden. Je mehr Mentoren sich finden, um so eher kann die Gesellschaft den Afghanen etwas von dem zurückgeben, was sie im Kampfeinsatz mit der Bundeswehr geleistet haben.
"Da kann man noch mehr tun"
Auch Oberleutnant Marcus Grotian, der als ehemaliger Afghanistan-Kämpfer das Patenschaftnetzwerk mitbegründet hat, sieht Handlungsbedarf. "Wer über sechs, sieben Monate sein Leben seinem Übersetzer anvertraut, hat eine innige Bindung. Grundsätzlich ist man in einem fremden Land auf einen Übersetzer angewiesen. Und genau diesen Dienst wollen wir den Afghanen jetzt hier in Deutschland tun und ihnen bei der Bürokratie helfen.", betont Grotian. "Jemanden nach Deutschland zu holen, ist zwar schön, aber es ist nicht genug, da kann man noch mehr tun. Um die Afghanen kümmert sich zur Zeit niemand. Und diese Ortskräfte haben uns geholfen, unter Einsatz ihres Lebens. Ich denke, wir schulden ihnen mehr als das, was wir ihnen zur Zeit geben."