"Spuren des Bösen" gehört längst zu einer der besten Krimireihen des ZDF. Arte wiederholt heute den ersten Film, der bei seiner Erstausstrahlung 2012 noch keinen Episodentitel trug. Schon damals war klar, welch’ großes Potenzial die Hauptfigur hat: Richard Brock (Heino Ferch) ist Psychologe, darf aber im klinischen Bereich nicht mehr praktizieren, seit vor zehn Jahren seine Frau gestorben ist; er trug damals die Verantwortung für ihre Behandlung.
Seither hat Brock zwar gewisse Schwächen, was das soziale Miteinander angeht, ist aber ein brillanter Analytiker von Kriminalfällen. Er wird daher gern als Berater hinzugezogen, wenn die Wiener Polizei nicht weiterweiß. So wie im Fall einer erstochenen Frau: Sie hat für eine international tätige Baufirma gearbeitet, doch ihr Konto weist den nicht für eine einfache Angestellte beachtlichen Betrag von 75 Millionen Euro auf. Offenbar handelt es sich um ein verdecktes Schmiergeldkonto, das naturgemäß direkt zur Unternehmensspitze führt. Dort trifft Brock auf einen alten Bekannten. Den charismatischen Konzernchef Sand (Stefan Kurt) konnte er schon zu gemeinsamen Schulzeiten nicht leiden, aber die höchsten Kreise halten schützend ihre Hand über ihn und seine illegalen Machenschaften.
Die Geschichte (Buch: Martin Ambrosch) ist im Grunde gar nicht spektakulär, aber ungemein klug konstruiert; und ihre Umsetzung ist grandios. Regisseur Andreas Prochaska hatte kurz zuvor mit dem Entführungs-Thriller "Die letzte Spur" (Sat.1) eine bemerkenswerte Regiearbeit abgeliefert und mit den weiteren Filmen der Reihe "Spuren des Bösen" seine Qualität untermauert. Schon der Einstieg mit seiner detailverliebten Bildgestaltung (David Slama) ist herausragend. Die Idee, die Besucher von Brocks Hochschulseminar und damit auch die Zuschauer erst mal an der Nase rumzuführen, ist nicht bloß kurzweilige Spielerei, sie gibt auch die erzählerische Haltung des Films vor: Immer, wenn man glaubt, man bewege sich mit Brock auf Augenhöhe oder sei ihm gar einen Schritt voraus, ist man auf dem Holzweg. Das gilt erst recht für den Schluss. Auch wenn man vielleicht geahnt hat, wer für die diversen Morde verantwortlich war: Ambrosch hat noch ein As im Ärmel.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Und selbst wenn all dies noch kein Grund wäre, diese deutsch-österreichische Koproduktion zu loben: Die Darbietungen der Schauspieler stehen den Leistungen der kreativen Köpfe hinter der Kamera in nichts nach. Ferch, der die Figur maßgeblich mitgestaltet hat, treibt die Verkörperung des Psychologen ohne Rücksicht auf Sympathieverluste an den Rand der Soziopathie. Aus sich heraus geht Brock nur zuhaus, Gefühle zeigt er bloß, wenn’s um seine Tochter geht, eine Polizistin in Ausbildung, die als Bewacherin der einzigen Mordzeugin ebenso wie diese großer Gefahr schwebt. Stefan Kurt ist Ferch ein Gegenspieler auf Augenhöhe, Nina Proll eine wunderbare ruppige Kommissarin, Erwin Steinhauer als ihr Chef ein typischer Bürokrat, allerdings mit Geheimnissen. Ein inhaltlich und optisch jederzeit fesselnder Psychokrimi für den Kopf. Und der Schluss ist ein Knüller.