In der Debatte um das Alte Testament warnt der kurhessische evangelische Bischof Martin Hein vor einer Skandalisierung. Die provokante These, mit der die Zugehörigkeit des Alten Testaments zum biblischen Kanon durch den Berliner Theologieprofessor Notger Slenczka infrage gestellt wird, müsse wissenschaftlich und kirchlich abgewiesen werden, sagte der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck am Freitag in Würzburg dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei sei allerdings maßvolle Kritik gefragt. Der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Gerhard Ulrich, kündigte an, man werde mit dem Theologieprofessor der Humboldt-Universität das Gespräch suchen. Slenczka ist stellvertretender Vorsitzender des Theologischen Ausschusses der VELKD.
Slenczka hatte in einem Aufsatz den Status des Alten Testaments zum biblischen Kanon infrage gestellt. Diese These stieß unter Fachkollegen und beim Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit auf massive Kritik. Slenczka sah sich dabei auch des Vorwurfs des Antijudaismus ausgesetzt. Die bisherige Debatte unter den Wissenschaftlern sei "nicht immer stilsicher" gelaufen, sagte Bischof Ulrich. "Bevor wir über Konsequenzen reden, führen wir Gespräche", betonte Ulrich am Rande der Beratungen evangelischer Kirchenparlamente in Würzburg.
"Ohne das Alte Testament können wir das Neue Testament nicht verstehen", ergänzte Bischof Hein. Die christliche Liturgie etwa lebe ganz wesentlich von den Psalmen des Alten Testamentes. Auf den Beitrag Slenczkas, der bereits 2013 erschienen war, habe es in der wissenschaftlichen Theologie kaum Reaktionen gegeben, sagte der Landesbischof. Das zeige, dass es sich bei Slenczkas Ausführungen um eine Einzelmeinung handele. Vor Hein hatten sich bereits die Bischöfe Jochen Cornelius-Bundschuh (Baden) und Markus Dröge (Berlin) von einer Ent-Kanonisierung des Alten Testaments distanziert.
Zum Slenczka-Disput sagte der wiedergewählte Präsident der lutherischen Generalsynode Wilfried Hartmann, er wolle keine Kirche angehören, "die Denkverbote ausspricht". Seine Stellvertreterin, die bayerische Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk, betonte ebenfalls, die wissenschaftliche Theologie sei frei und auf diesen Freiraum angewiesen.
Mit Bezug auf den renommierten Theologen Adolf von Harnack (1851-1930) hatte Slenczka angeregt, das Alte Testament unter den Apokryphen einzuordnen, also jenen Texten des Judentums gleichzustellen, die nicht zum biblischen Kanon, den Heiligen Schriften gehören. Slenczkas Äußerungen seien "historisch nicht zutreffend und theologisch inakzeptabel", kritisierten fünf Theologen-Kollegen von der Humboldt-Universität in einer Stellungnahme. Es stehe außer Zweifel, dass die Hebräische Bibel ebenso wie das Neue Testament "Quelle und Norm" der evangelischen Theologie sei und bleibe.