Kritik an Richterspruch zum muslimischen Kopftuch wächst

Kopftuch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Foto: dpa/Uli Deck
Fereshta Ludin, muslimische Lehrerin und Beschwerdeführerin im Kopftuch-Streit, sitzt am 2003 nach der Urteilsverkündung im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Kritik an Richterspruch zum muslimischen Kopftuch wächst
Allgemeine Kopftuch-Verbote an deutschen Schulen sind laut Bundesverfassungsgericht unzulässig. Ex-Richter Papier warnt: Die jüngste Karlsruher Entscheidung provoziert Streit vor Ort. Auch EKD-Ratschef Bedford-Strohm hat Bedenken, und Berlin-Neukölns Bürgermeister Heinz Buschkowsky sieht eine "völlig falsche Botschaft" in dem Urteil.

Die Kritik an der Kopftuch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wächst. Der ehemalige Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier befürchtet, dass der Richterspruch, der allgemeine Kopftuch-Verbote für unzulässig erklärte, zu "höchst unerfreulichen" Streitigkeiten an Schulen führt, die auch vor Gericht enden könnten. Der scheidende Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), sieht in dem Beschluss eine "völlig falsche Botschaft" zulasten der liberalen Muslime in Deutschland. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte, es sei noch sehr unklar, wie praxistauglich die Entscheidung ist.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem am 13. März veröffentlichten Beschluss entschieden, dass ein Kopftuch-Verbot für muslimische Lehrerinnen an Schulen nicht pauschal gelten darf. Künftig soll es für ein mögliches Verbot auf konkrete Konflikte, eine konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden ankommen. Die Richter revidierten damit ein Urteil aus dem Jahr 2003, nach dem ein Kopftuch-Verbot prinzipiell als zulässig galt, wenn es in den Bundesländern entsprechende Gesetze gibt.

Papier, Gerichtspräsident von 2002 bis 2010, sagte der "Welt am Sonntag", die Richter hätten nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Lehrkraft sich auf die Religionsfreiheit bei der Ausübung einer öffentlichen Amtstätigkeit beruft. Sie nehme den Erziehungsauftrag des Staates wahr, der verfassungsrechtlich zur Neutralität, aber auch zur Gleichstellung von Männern und Frauen verpflichtet sei. Bei einem staatlichen Amtsträger seien die Grenzen der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in jedem Fall enger zu ziehen als bei einer Privatperson.



Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) kritisierte, die Karlsruher Richter hätten den Schulleitungen die Verantwortung zugeschoben. "Ich fürchte, die Entscheidung wird in manchen Fällen gerade nicht zu einem Schulfrieden führen, wie wir ihn brauchen", sagte der religionspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag der "Welt am Sonntag". Das Kopftuch werde nicht nur aus religiöser Überzeugung getragen, "sondern ist bei manchen Musliminnen auch eine politische Demonstration".

Der Berlin-Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky befürchtet, in dem Richterspruch könnten Muslime die Botschaft sehen, die Frau habe "zu gehorchen, sie hat rein und devot zu sein und sie ist das Eigentum ihres Mannes". Das oberste deutsche Gericht habe ohne Not eine Säule der Gesellschaft geschleift, wonach staatliches Handeln wertneutral zu sein habe. "Das Gericht hat gesagt: Die Wertneutralität staatlichen Handelns übt keine normative Funktion aus, sondern ist eher eine offene Haltung", sagte Buschkowsky im Deutschlandfunk. Das sei für ihn unverständlich.

Buschkowsky scheidet zum 1. April mit 66 Jahren aus seinem Amt als Bezirksbürgermeister aus. In seiner 14-jährigen Amtszeit war der SPD-Politiker durch Beiträge zur Integrationsdebatte bundesweit bekanntgeworden.

Der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Bedford-Strohm sagte der Berliner "B.Z." (Sonntagsausgabe), er betrachte den Richterspruch mit gemischten Gefühlen. "Einerseits stärkt das Verfassungsgericht uns allen den Rücken, die wir für eine freie Ausübung von Religion in der Öffentlichkeit eintreten", argumentierte er. Allerdings könnte es sein, dass die Schulen damit überfordert sind, selbst zu entscheiden, ob das Tragen eines Kopftuchs durch die Lehrerin der Integration dient oder sie hemmt.