Wer sind die Jesiden?

Jesiden und Christen aus Syrien und dem Irak demonstrieren in der Mainzer Innenstadt gegen die Verfolgung und Tötung ihrer Landsleute.
Foto: epd-bild/Kristina Schäfer
Jesiden und Christen aus Syrien und dem Irak demonstrieren in der Mainzer Innenstadt gegen die Verfolgung und Tötung ihrer Landsleute.
Wer sind die Jesiden?
Das Jesidentum ist eine uralte monotheistische Religion mit Elementen aus westiranischen, altmesopotamischen Religionen sowie aus Judentum, Christentum und Islam. Ihre Wurzeln reichen bis zu 4.000 Jahren zurück.

Über die Zahl der Jesiden gibt es nur Schätzungen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, der Oldenburger Telim Tolan, schätzt ihre Zahl auf weltweit etwa eine Million. Unter den ganz überwiegend muslimischen Kurden bilden sie eine Minderheit. Ihr Siedlungsgebiet ist identisch mit der von den Terrormilizen beanspruchten Region zwischen dem Irak, Syrien und der Türkei.

In Deutschland werden Jesiden, die in ihren Herkunftsländern häufig Verfolgungen und Zwangsumsiedlungen ausgesetzt sind, seit Anfang der 1990er Jahre als Gruppenflüchtlinge anerkannt. Nach Einschätzung der Evangelischen Zentralstelle werden die meisten Jesiden nicht in ihr Heimatland zurückkehren, sondern sich in ihren Fluchtländern als Gemeinschaft konsolidieren.

Anders als Juden, Christen und Muslime besitzen die Jesiden kein heiliges Buch, schreibt Tolan in seiner Darstellung "Das Yezidentum - Religion und Leben". Die Jesiden geben ihren Glauben an die nachfolgenden Generationen in mündlicher Überlieferung weiter. Weil man nur durch Geburt Jeside werden kann und die Religionspraktiken Außenstehenden weitgehend verborgen bleiben, haftet ihnen etwas Geheimnisvolles an.

Teufelsanbeter?

Im Verlauf von vier Jahrtausenden haben immer wieder andere Religionen, darunter auch Judentum, Christentum und Islam, den Glauben der Jesiden beeinflusst. So gibt es etwa ein an die christliche Taufe erinnerndes Ritual. Doch bis heute blieb den Jesiden die Idee fremd, jemand von außen könne den jesidischen Glauben annehmen und der Religionsgemeinschaft beitreten.

Obwohl sie sich leicht in andere Gesellschaften integrieren, bleiben die Jesiden weitgehend unter sich. Um ihre Religion zu schützen, heiraten sie nur untereinander. Zwar ist Tolan zufolge die Zwangsehe mit jesidischen Vorstellungen nicht vereinbar, doch sind in den vergangenen Jahren immer wieder einzelne Fälle öffentlich geworden. Tolan verweist auf patriarchalische Traditionen der Herkunftsländer, die sich nicht aus dem jesidischen Glauben ableiten ließen.

Die Jesiden glauben an Seelenwanderungen und die Wiedergeburt als Jeside. Welchen Zustand das neue Leben nach einer Wiedergeburt annimmt, ist abhängig vom Lebenswandel im vorherigen Leben. Um besonders gut und fromm zu leben, wählen sie sich in jungen Jahren einen "Jenseitsbruder" oder eine "Jenseitsschwester" aus. Diese lebenslangen Wahlgeschwister übernehmen gegenseitig eine moralische Mitverantwortung für ihre Taten.

Doch in erster Linie sei der Mensch selbstverantwortlich für sein Wirken, sagt Tolan: "Aus jesidischer Sicht hat Gott dem Menschen die Möglichkeiten gegeben, um zu sehen, zu hören und zu denken." Mit Hilfe seines Verstandes könne sich so jeder für den richtigen Weg entscheiden. Eine zentrale Rolle für die religiöse Minderheit spielt der Engel Melek, der durch einen Pfau symbolisiert wird. Laut der jesidischen Überlieferung weigerte er sich, Adam anzubeten. Denn nur Gott allein dürfe angebetet werden. Dafür habe ihn Gott zum Wächter über die Welt und als Mittler zwischen sich und den Menschen eingesetzt.

Für die radikalen Islamisten ist die Verehrung des Engels Melek eine todeswürdige "Teufelsanbeterei". Außerdem werfen sie den Jesiden vor, sich über andere Völker und den Islam zu erheben. Ein Vorwurf, den der Zentralrats-Vorsitzende Tolan zurückweist: Nach jesidischem Grundverständnis kann ein Jeside ein guter Mensch sein. Aber um ein guter Mensch zu sein, muss man nicht Jeside sein. Das Jesidentum respektiere andere Religionen und Völker. In einem traditionellen Gebet heiße es: "Lieber Gott, schütze erst die 72 Völker und dann uns."