Sie sehe die Gefahr, dass die Beschneidung weiblicher Geschlechtsorgane in weniger radikalen Formen erhalten bleibe, sagte die Erziehungswissenschaftlerin, die seit Jahren Organisationen zu dem Thema berät, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"Ich befürchte einen Trend weg von der Infibulation, der radikalsten Form der Beschneidung, hin zur Sunna", sagte Abdulkadir, die das Programm der Kindernothilfe für das von Somalia abtrünnige Somaliland leitet. Doch wieviel genau von den weiblichen Geschlechtsorganen bei der Sunna abgeschnitten wird, sei nicht festgelegt.
"Die meisten Frauen, die Beschneidungen vornehmen, haben keinerlei medizinische Ausbildung, sie kennen den Unterschied zwischen den Beschneidungsformen nicht", sagte Abdulkadir. "Woher sollen sie wissen, ob sie drei oder fünf Zentimeter abschneiden müssen?" Die Einteilung in Kategorien sei von der Weltgesundheitsorganisation entwickelt worden, die die Praxis vehement verurteilt.
Die Sunna wird definiert als die Entfernung oder Beschädigung der Klitoris. Bei der Infibulation werden die äußeren Genitalien vollständig beseitigt und die Wunde bis auf ein kleines Loch zugenäht wird. Weltweit sind nach UN-Angaben etwa 140 Millionen Frauen beschnitten, jedes Jahr trifft es rund drei Millionen Mädchen.
Während sich mittlerweile viele religiöse Persönlichkeiten gegen die Infibulation ausgesprochen hätten, werde die Sunna noch häufig als islamisch gerechtfertigt, sagte Abdulkadir. "Deshalb muss man klar machen, dass jede Art von Beschneidung gegen das Menschenrecht der Frauen verstößt." Dabei müsse man jedoch vorsichtig sein. "Die Leute haben Angst davor, dass wir eine viel zu offene Diskussion über die Sexualität von Frauen führen", erläuterte die in Kenia lebende Deutsche mit eritreischen Wurzeln.
Die Zusammenarbeit mit Männern sei dafür besonders wichtig. "Männer haben viel mehr Macht, diese Praxis abzuschaffen, sie bestimmen die Kultur", betonte Abdulkadir. "Wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der fast alle Frauen beschnitten sind, weiß man nicht, dass es ohne Beschneidung anders wäre." Oftmals brächten die Frauen deshalb die Schmerzen nicht in Zusammenhang mit der Verstümmelung ihrer Genitalien.
Ein bedeutender Fortschritt ist nach Abdulkadirs Einschätzung, dass Genitalverstümmelung in Afrika weniger tabu ist. "Selbst in Moscheen sprechen die Imame darüber, und auch in der Öffentlichkeit, im Radio ist es zunehmend Thema." Sie sei beeindruckt von jungen Männern, die sich mit religiösen Argumenten dagegen aussprächen. Ob dadurch Mädchen verschont würden, lasse sich aber schwer sagen.