###mehr-artikel###Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dringt auf eine stärkere Integration von Schülern mit besonderem Förderbedarf. Einer inklusiven Schule stehe zu viel Frontalunterricht entgegen. Außerdem gebe es zu wenig individuelle Begleitung beim Lernen, heißt es in einer sogenannten Orientierungshilfe, die Annette Scheunpflug, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Bamberg und Vorsitzende einer Ad-hoc-Kommission des Rates der EKD zum Thema Inklusion, am Montag in Hamburg vorstellte. Notwendig seien verbindliche Qualitätsstandards für den Unterricht. Dazu sollten Schulen multiprofessionelle Teams bilden.
Von der "Idee des gemeinsamen Lernens" sei die "schulische Wirklichkeit" oft weit entfernt, heißt es in dem 192 Seiten umfassenden Dokument. Lehrer seien noch nicht ausreichend auf die neue Situation vorbereitet und empfänden den gemeinsamen Unterricht als Überforderung, heißt es in dem Text, den eine Kommission von Fachleuten aus Kirche, Diakonie, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft erarbeitet hat. "Die neue Schule wird Zeit brauchen, wenn Inklusion gelingen soll", schlussfolgern die Experten. Für eine Übergangszeit könne es daher sinnvoll sein, die Wahl zwischen Förderschule und gemeinsamem Unterricht zu ermöglichen.
Inklusion sei ein Jahrhundertthema
###mehr-links###EKD-Ratsmitglied Uwe Michelsen betonte, Inklusion sei ein "Jahrhundertthema". Die Kirche wolle mit der Orientierungshilfe eine "Veränderung in den Köpfen" fördern. Sie selbst habe die Aufgabe, Gottesdienste für alle Menschen zu gestalten. Dafür müssten noch viele Ängste abgebaut werden. Das gelte auch für Pastoren und Religionslehrer. In den Gemeinden sollte "ein neuer Blick auf Verschiedenheit" entstehen.
Menschen mit Behinderungen würden immer noch allzu häufig nach ihren Defiziten beurteilt, beklagte Hanns-Stephan Haas, Direktor der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, einer der bundesweit größten Einrichtungen für Menschen mit Handicap. Stattdessen sollten ihre Potenziale in den Vordergrund gerückt werden. Es seien Menschen, die neue Impulse in die Gesellschaft einbringen.
Bedford-Strohm: Inklusion markiere einen Paradigmawechsel
Die Hamburger Pastorin Esther Bollag, Mitarbeiterin der Kommission, forderte eine "Entmedizinisierung" von Behinderung. Immer noch werde Behinderung mit Krankheit gleichgesetzt. Man könne den Begriff Behinderung auch ganz anders verwenden und damit auf die zahlreichen Barrieren und Einschränkungen im gesellschaftlichen Umfeld hinweisen, sagte die Pastorin, die selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Der Begriff Inklusion markiere einen Paradigmenwechsel, schreibt der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm im Vorwort der Orientierungshilfe mit dem Titel "Es ist normal, verschieden zu sein. Inklusion leben in Kirche und Gesellschaft". "Es geht nicht mehr um die Integration einer kleinen abweichenden Minderheitsgruppe in die 'normale' Mehrheit. Vielmehr soll die Gemeinschaft so gestaltet werden, dass niemand aufgrund seiner Andersartigkeit herausfällt oder ausgegrenzt wird." Mut und Kreativität seien dabei ebenso gefragt wie Professionalität und sensibler Umgang mit Vielfalt. Ausführlich thematisiert die Orientierungshilfe auch Konsequenzen von Inklusion für Kirche und Diakonie. Ausgrenzung widerspreche der Abendmahlsgemeinschaft. Das kirchliche Engagement im Bildungs- und Sozialbereich für Menschen mit Behinderungen habe deutlich gemacht, dass Menschenwürde und Gottesebenbildlichkeit jedem Menschen zukämen.