Fünf Jahre nach Bekanntwerden zahlreicher Fälle sexuellen Missbrauchs in ihren Reihen steht die katholische Kirche nach Ansicht von Bischof Stephan Ackermann weiter vor großen Aufgaben. Der "Schock der Ereignisse von 2010" habe einen intensiven Lern- und Entwicklungsprozess angestoßen, "der nicht abgeschlossen ist", sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz am Donnerstag in Berlin. Die aktuelle Herausforderung sieht der Trierer Bischof vor allem darin, in Einrichtungen der Kirche eine "Kultur der Achtsamkeit" zu etablieren, die sexuellen Missbrauch von Minderjährigen verhindert.
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Im Januar 2010 wurden in Berlin Fälle sexuellen Missbrauchs am katholischen Canisius-Kolleg aufgedeckt. Weitere Skandale folgten, die in Kirche und Gesellschaft eine breite Debatte über sexuellen Missbrauch anstießen. Ackermann sagte, die Diskussion habe die katholische Kirche in Deutschland, aber auch weltweit verändert. Sexuelle Gewalt sei zum exemplarischen Thema für den Umgang mit Macht im Allgemeinen geworden. Rückblickend kritisierte er eine "erschreckende Unprofessionalität" im Umgang mit Missbrauchsfällen.
Die Sprecherin der Präventionsbeauftragten der deutschen Bistümer, Mary Hallay-Witte, sagte, es habe flächendeckend ein Umdenken in katholischen Einrichtungen stattgefunden. Dies spiegele sich beispielsweise in der Personalauswahl, im Beschwerdemanagement sowie in Aus- und Fortbildungen. Nach ihren Angaben nahmen inzwischen 75 Prozent der Hauptamtlichen bundesweit an Schulungen zur Prävention und zum Umgang von sexuellem Missbrauch teil.
Viele Opfer wollen sich an Studie beteiligen
Die katholische Kirche hatte im vergangenen Jahr ein neues Forschungsprojekt zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche gestartet. Wie führende Forscher des Teams der insgesamt vier beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen mitteilten, haben Mitarbeiter im Oktober begonnen, Interviews mit Opfern und Tätern zu führen. Dies ist eins von insgesamt sechs Teilprojekten der Studie, die auf insgesamt dreieinhalb Jahre angelegt ist.
Nach Angaben des an der Studie beteiligten Gerontologen Andreas Kruse wurden bislang 46 Opfer und sechs Täter befragt. Alle berichteten überraschend differenziert von den Taten, sagte Kruse. Der Heidelberger Professor will durch die Interviews herausfinden, wie die Biografien von Opfern und Tätern vor und nach dem Missbrauch verlaufen, um daraus Rückschlüsse zu ziehen. Diese Art der Biografie-Forschung ist ein Teilgebiet der Altersforschung.
Weil das Interesse von Opfern, sich an der Studie zu beteiligen, nach Angaben Kruses sehr groß ist, hat das Forscherteam die angestrebte Zahl von Interviews von 100 auf 150 erhöht. Dazu sollen 70 Täter-Interviews kommen. Viele Opfer meldeten sich, weil sie ihre Erlebnisse schildern wollten, berichtete Kruse. Für viele sei es die erste Gelegenheit, weil sie sich oftmals nicht einmal ihrem nahen Umfeld, Eltern oder Partnern, anvertraut hätten.
Was die Studie nicht erbringen kann, sei indes eine endgültige Zahl über Missbrauchsfälle und einen Vergleich zwischen katholischer Kirche und anderen Institutionen, sagte Forschungsprojekt-Leiter Harald Dreßing vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Ziel der Studie sei es dennoch, Spezifika der katholischen Kirche in Fällen sexuellen Missbrauchs und den Umgang damit herauszuarbeiten.