TV-Tipp des Tages: "Mademoiselle Chambon" (3sat)

iStockphoto
TV-Tipp des Tages: "Mademoiselle Chambon" (3sat)
TV-Tipp des Tages: "Mademoiselle Chambon", 13. Januar, 20.15 Uhr auf 3sat
Jean ist ein herzensguter Mensch: ein guter Handwerker, ein guter Sohn, ein guter Vater und ein guter Ehemann. Sein ruhiger Alltag zwischen Familie und Arbeit gerät völlig durcheinander, als er eines Tages Mademoiselle Chambon, der Lehrerin seines Sohnes, begegnet.

Die Szene ist nicht nur von ergreifender Schlichtheit, sondern auch enorm erotisch. Dabei passiert überhaupt nichts: Ein Mann und eine Frau sitzen nebeneinander und hören eine CD. Ihre Berührungen sind geradezu keusch. Und doch enthalten die Bilder dank der Musik derart viel Leidenschaft, dass die Umarmung wie purer Sex wirkt.

Amour fou auf Zeit

Der Franzose Stéphane Brizé hat den gesamten Film auf diese Weise inszeniert: Vordergründig wirkt die Geschichte (nach Motiven des gleichnamigen Romans von Éric Holder) einfach und übersichtlich, doch im Inneren der Figuren brodelt es. Das funktioniert, weil Brizé mit Vincent Lindon und Sandrine Kiberlain ganz vorzügliche Hauptdarsteller hat. Dass die beiden mal verheiratet waren, verleiht der Zusammenstellung eine gewisse Pikanterie, hatte aber laut Brizé keinerlei Einfluss auf die Arbeit. Die zurückhaltende Inszenierung mit ihren langen Einstellungen wiederum harmoniert perfekt mit der Handlung und ihren Protagonisten: Maurer Jean führt ein überschaubares Leben irgendwo in der französischen Provinz. Die kurzen Familienbilder zur Einführung verdeutlichten: Ehefrau Anne-Marie (Aure Atika) und er mögen einfache Leute sein, aber ihre gegenseitige Liebe ist aufrichtig; Sohn Jérémy wächst so behütet auf, wie das heutzutage überhaupt möglich ist. Nebenbei kümmert sich Jean liebevoll um seinen Vater (Jean-Marc Thibault).

Und dann lernt er Mademoiselle Chambon kennen. Sie ist Jérémys Lehrerin und unterrichtet jedes Jahr an einer anderen Schule. Ihr Herz geht auf, als sie Jean bittet, der Klasse von seinem Arbeitsalltag zu erzählen. Der zögert zunächst, weil er seinen Beruf eher langweilig findet, doch die Kinder sind begeistert von seinen zupackenden, lebendigen Schilderungen; und Véronique Chambon auch. Sie fragt ihn, ob er mal nach ihrem undichten Fenster schauen könne. Er setzt im Nu ein neues ein und bittet sie, sich zu revanchieren und ihm etwas auf der Geige vorzuspielen. Nun ist die Verzückung ganz seinerseits; und als Veronique ihn mit Hilfe einer CD in die Welt der klassischen Musik einführt, ist es auch um ihn geschehen.

All das aber erzählt Brizé beinahe zwischen den Bildern. Welche Unruhe das Erlebnis in Jean ausgelöst hat, zeigt sich erst später, als er daheim und bei der Arbeit wegen irgendwelcher Lappalien aus der Haut fährt. Dass Gattin Anne-Marie (auch Atika war mal mit Lindon liiert) ihm eröffnet, schwanger zu sein, trägt naturgemäß nicht dazu bei, seine tiefgreifende Verunsicherung zu beheben. So macht Brizé das Unsichtbare sichtbar. Natürlich ist es leicht, Liebende zu inszenieren. Die Liebe selbst aber ergibt sich dabei stets nur durch das Zusammenspiel der Darsteller; und genau diesen Weg geht Brizé nicht. Seine Methode basiert vor allem auf Geduld; und auf Lindons vortrefflichem Spiel.

Auf diese Weise gelingt es beiden, durch das simple Aufschichten von Ziegelsteinen zu verdeutlichen, mit welcher Hingabe Jean seinen Beruf ausübt. Die subtilen Liebesszenen funktionieren ganz ähnlich, ebenso wie die bewegenden Bilder gegen Ende, als sich Brizé unverhohlen an der traurigen Romanze "Die Brücken am Fluss" orientiert. Wie Clint Eastwood, so schafft auch er das Kunststück, eine ungemein gefühlvolle Geschichte zu erzählen, ohne dabei je sentimental zu werden.