Wenn es um die Verfilmung deutsch-deutscher Historie geht, spielen die Filme meistens in Berlin. Für "Tannbach" gilt das quasi auch: Das fiktive Dorf, das durch die Aufteilung Deutschlands in besetzte Zonen zweigeteilt wird, ist der bayerisch-thüringischen Ortschaft Mödlareuth nachempfunden. Weil ein mitten durch den Ort fließender Bach die Grenze zwischen Ost und West markiert, wird das Dorf zu "Klein Berlin", inklusive Stacheldraht und Schießbefehl. Das Autorenpaar Josephin und Robert von Thayenthal hatte die Idee, anhand dieses Mikrokosmos’ die Geschichte des ganzen Landes zu erzählen. Ähnlich wie zuletzt in dem historischen Drama "Das Zeugenhaus" prallen in "Tannbach" die Prototypen aller möglichen Spielarten des Nachkriegsdeutschen aufeinander: unverbesserliche Nationalsozialisten, die immer noch vom Endsieg schwadronieren, abstoßende Mitläufer, die ihr Fähnchen flugs nach dem Wind hängen, und überzeugte Kommunisten, die auf den Ruinen des alten ein neues Deutschland errichten wollten.
Das Drehbuch ist allerdings durch diverse weitere Hände gegangen; ein erster Hinweis darauf, dass die Umsetzung der Idee offenbar nicht ganz rund war. Das gilt auch für den fertigen Film: Einerseits haben die insgesamt gut 270 Minuten gewisse Längen, andererseits sind einige Figuren trotzdem recht klischeehaft geraten. Ohnehin ist die Umsetzung sehr braves öffentlich-rechtliches Fernsehen. Ein Vergleich mit dem vermutlich deutlich aufwändigeren TV-Opus "Unsere Mütter, unsere Väter" mag unfair sein, liegt aber nahe. An diesem Maßstab kann "Tannbach" nicht bestehen; von anderen Produktionen über die Nachkriegsjahre – "Heimat" von Edgar Reitz, "Deutschlandlied" von Tom Toelle oder auch "Schicksalsjahre" von Miguel Alexandre – ganz zu schweigen. Der vergleichsweise junge Regisseur Alexander Dierbach hat mit "Mantrailer" einen ordentlichen RTL-Krimi und mit "Großer schwarzer Vogel" einen emotional anspruchsvollen "Tatort" aus Berlin gedreht. An der Komplexität von "Tannbach" ist er zwar nicht gescheitert, aber die Verknüpfung der diversen Handlungsstränge ist nicht immer harmonisch und flüssig. Positiv formuliert stellt sich seine betont unauffällige Inszenierung mit ihren oftmals langen Einstellungen ganz in den Dienst der Geschichte.
Vorhersehbare Charaktere, erwartbare Umsetzung, aber sorgfältig erzählt
Dennoch entwickelt der Dreiteiler dank der Geschichte, ihrer Hauptfiguren und vor allem der formidablen Darsteller eine gewisse Spannung und schließlich, wenn die Figuren endlich Tiefe bekommen, auch Faszination. Die Besetzung ist ohnehin erstklassig. Gerade das von Henriette Confurius und Jonas Ney ungemein glaubwürdig verkörperte zentrale Liebespaar weckt große Anteilnahme. Im Grunde hätte es genügt, wenn sich die Handlung als Zweiteiler auf diese beiden konzentriert hätte: Sie spielt einen enteigneten Adelsspross, er einen Flüchtling, der sich von den Idealen des kommunistischen Landrats (Ronald Zehrfeld) mitreißen lässt und dabei helfen will, eine neue Ordnung herzustellen. Um das junge Paar herum gruppiert das Drehbuch eine Vielzahl von Personen. Viele kommen allerdings nicht über eine repräsentative Rolle hinaus, zumal die namhafte Besetzung völlig frei von Überraschungen ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Alexander Held zum Beispiel verkörpert einen widerwärtigen Opportunisten. Er macht das derart großartig, dass man diesen Mann von Herzen verabscheut; aber er muss solche Typen eben auch immer wieder spielen. Nicht minder sehenswert, aber ähnlich erwartbar sind Nadja Uhl und Martina Gedeck als stolze Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen. Auch Heiner Lauterbach passt perfekt zu der Figur des Aristokraten und Offiziers, der Adolf Hitler zunächst verehrt hat, sich dann aber eines Besseren besann und desertierte; erst ganz am Ende wird sein düsteres Geheimnis offenbar. Einzig verblüffend ist der Umstand, dass Natalia Wörner als Gattin des Grafen quasi nur im Prolog mitwirkt, weil sie das Versteck ihres Mannes nicht preisgeben will und deshalb von einem SS-Mann erschossen wird.
Tatsächlich aufgegangen ist dagegen das Kalkül, das Dorf als Mikrokosmos zu nutzen. In dieser Hinsicht profitiert der Dreiteiler natürlich von der Komplexität der Handlung. Tannbach wird erst von den Amerikanern besetzt, dann von den Russen und schließlich zweigeteilt. Die vielfältigen Anpassungsstrategien der Einwohner die immer wieder neuen Gegebenheiten sind sorgfältig erzählt, was den Ereignissen große Authentizität verleiht. Der dritte Teil folgt am Mittwoch. Teil eins sowie eine Dokumentation zum Thema Tannbach können in der Mediathek des ZDF gesichtet werden.