Für seine Dienste hatten Staat und Partei ihn mit Orden überhäuft. Aber sein Name blieb ein sowjetisches Staatsgeheimnis. Die Stadt mit dem Tarnnamen "Arsamas-16", in der er mit seinen Wissenschaftlerkollegen arbeitete, war auf keiner Landkarte eingezeichnet. Der junge Physiker Andrej Dmitrijewitsch Sacharow entwickelte für die Sowjetunion die Wasserstoffbombe mit, die mächtigste Waffe, die jemals gebaut worden war. Später machte der gefeierte Atomforscher eine geradezu unglaubliche Wandlung durch: Er wurde zum Kämpfer für Abrüstung und Menschenrechte und erhielt 1975 den Friedensnobelpreis. Am 14. Dezember 1989, vor 25 Jahren, starb er.
Nikita Chruschtschow wurde wütend
Andrej Sacharow gilt neben dem Schriftsteller Alexander Solschenizyn als bekanntester sowjetischer Dissident. Der seit seiner Kindheit eigentlich äußerst schüchterne Wissenschaftler forderte dabei eine ganze Weltmacht heraus. Seine Grundsatzschrift "Gedanken über Fortschritt, friedliche Koexistenz und geistige Freiheit" von 1968 hatte er als Motto mit einem Faust-Zitat versehen: "Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss". Für die Sowjetführung wurde er mit der Zeit zum Staatsfeind Nummer eins.
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Einen solchen Lebensweg hätte dem am 21. Mai 1921 in Moskau geborenen Sacharow am Anfang seiner Physiker-Karriere mit Sicherheit niemand zugetraut. Kein Geringerer als Andrej Kurtschatow, der Chefkonstrukteur der ersten sowjetischen Atombombe, war auf den jungen Nachwuchsforscher aufmerksam geworden. 1953 wurde Sacharow mit gerade einmal 32 Jahren zum jüngsten Vollmitglied aller Zeiten der Russischen Akademie der Wissenschaften. Kurtschatow hatte seinen Mitarbeiter mit den Worten vorgestellt: "Dieser Mann hat mehr für die Verteidigung unserer Heimat getan als wir alle zusammen." Er hatte maßgeblich zur Entwicklung der sowjetischen Wasserstoffbombe beigetragen, die 1953 erstmals gezündet wurde.
In den 1950er Jahren war Sacharow fest davon überzeugt, nur ein atomares Gleichgewicht des Schreckens könne den Weltfrieden dauerhaft bewahren. Als bei oberirdischen Atombombentests weite Flächen der kasachischen Steppe radioaktiv verseucht wurden, begann bei ihm jedoch ein Umdenken. KP-Chef Nikita Chruschtschow reagierte wutentbrannt auf Sacharows Appell, keine Bomben mehr zu zünden.
Seine Frau nahm den Nobelpreis entgegen
Der Physiker geriet zunehmend in Opposition zum sowjetischen System. Er kämpfte für die Rettung des Baikal-Sees und gegen die Verurteilung von Bürgerrechtlern. Der repressive sowjetische Staatsapparat ließ ihn relativ lange gewähren. Nach seinen ersten offen regimekritischen Auftritten wurde ihm lediglich der Zugang zu Staatsgeheimnissen verwehrt, aber er konnte weiter in Moskau als Physiker arbeiten.
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Unbeeindruckt vom staatlichen Druck gründete Sacharow ein "Komitee für Menschenrechte" und setzte sich immer lauter für demokratische Reformen in der Sowjetunion ein, insbesondere nach seiner zweiten Heirat mit der Dissidentin Jelena Bonner. Zur Verleihung des Friedensnobelpreises durfte er 1975 das Land nicht verlassen, seine Frau nahm die Auszeichnung entgegen. Als Sacharow in Interview mit westlichen Korrespondenten den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan geißelte, beschloss die Staatsführung Anfang 1980, den Aktivitäten ein Ende zu bereiten.
Sacharow wurde ohne Gerichtsverfahren in die Industriestadt Gorki (heute wieder Nischni Nowgorod) an der Wolga verbannt, die zu Sowjetzeiten für Besuche von Ausländern gesperrt war. Dort war jeder seiner Schritte vom Geheimdienst überwacht. Der KGB konfiszierte säckeweise Post, die aus aller Welt an die Adresse des berühmten Dissidenten geschickt wurde. Mit Hungerstreiks setzte sich Sacharow weiter für die Belange inhaftierter sowjetischer Bürgerrechtler ein.
Herzanfall statt Kampf im Parlament
Im Dezember 1986, über ein Jahr nach dem Amtsantritt des neuen KP-Generalsekretärs Michail Gorbatschow, verlegten Arbeiter überraschend einen Telefonanschluss in die Wohnung des Physikers. Einen Tag später meldete Gorbatschow sich persönlich bei ihm und forderte ihn auf, nach Moskau zurückzukehren. Sacharows letzte Lebensjahre waren einerseits von der Sympathie für Gorbatschows Perestroika-Politik, andererseits aber von der Kritik an deren Halbherzigkeit geprägt.
Gesundheitlich durch mehrere Herzinfarkte und die Hungerstreiks geschwächt, wurde er Abgeordneter im sowjetischen Volksdeputierten-Kongress, wo er an einer Verfassung für eine demokratische Sowjetunion arbeitete. Am 14. Dezember 1989 starb Sacharow in seiner Moskauer Wohnung an einem weiteren Herzanfall. Zuvor hatte er seine Parlamentsrede für den nächsten Tag vorbereitet und sich mit den Worten schlafen gelegt: "Morgen habe ich wieder einen Kampf."
Den Zerfall seines Landes und Russlands chaotischen Übergang zur Marktwirtschaft erlebte Sacharow nicht mehr mit. Das Europäische Parlament zeichnet jedes Jahr Menschen und Organisationen, die sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einsetzen, mit dem nach ihm benannten Sacharow-Preis für geistige Freiheit aus.