Friedhofs-App führt zu wunderschönen Orten

Friedhofs-App
Foto: dpa/Arne Dedert
Mit dem Smartphone zum Grab.
Friedhofs-App führt zu wunderschönen Orten
Für 37 historische Friedhöfe in Deutschland wurde jetzt die WebApp www.wo-sie-ruhen.de online geschaltet. Damit findet man die Gräber berühmter Menschen. Thomas Klatt hat die App in Berlin ausprobiert.

Wenn der Empfang gut ist, funktioniert der download problemlos. "Wo-sie-ruhen" ist systemoffen konzipiert. Mit jedem handelsüblichen Smartphone, Tablet, iPad oder Smart TV kann man die Friedhofs-App also abrufen. Schon der Weg zum Friedhof wird virtuell geebnet. Die App gibt Auskunft über Adresse, Öffnungszeiten und Verkehrsanbindung.

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Zum Beispiel zum Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte. Der Lageplan verschafft einen ersten Überblick: Hier liegen Berühmtheiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft, Hegel, Schinkel, Arnold Zweig, Brecht und viele mehr. Es erscheinen rote Punkte zum anklicken. Hinter jedem Punkt verbirgt sich ein Vortrag nebst Bildern der Verstorbenen und vielen Informationen. Es geht um Person und Biografie, Gestaltung der Grabstätte, beteiligte Architekten und Bildhauer, verwendete Baumaterialien, Symbole und Details, Anekdoten und geschichtliche Bedeutung.

Zum Beispiel: "Direkt neben der Grabstätte des Dichters und Politikers Johannes R. Becher befindet sich die Vierkantstele für den Schriftsteller Heinrich Mann, erster Präsident der Deutschen Akademie der Künste der DDR..." Es folgt ein gut dreiminütiger Vortrag, gelesen von dem Schauspieler Hans-Jürgen Schatz, der sich ehrenamtlich für die Friedhofs-App eingesetzt hat. Seine Stimme ist wohltuend ruhig. Wem das aber zu viel ist, der kann ihn auch stumm schalten und sich den Text einfach durchlesen: "In Lübeck als älterer Bruder von Thomas Mann geboren, ließ er sich nach Buchhandelslehre und Studium kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in München nieder. 1931 wählte man ihn zum Präsidenten der Sektion Dichtkunst der Akademie der Künste, jedoch schon zwei Jahre später wurden auch seine Bücher durch die Nazis bei der berüchtigten Bücherverbrennung auf dem Opernplatz Unter den Linden verbrannt und er selbst aus der Akademie ausgeschlossen." Warum aber auf dem Grabmal Heinrich Manns Steine statt Blumen liegen, wird nicht erklärt. Offensichtlich ist diese ursprünglich jüdische Sitte mittlerweile auch auf christlichen Gräbern zu finden, manche Besucher machen da wohl keinen Unterschied.

Den Jüngeren hautnah Geschichte vermitteln

Am Rande des Dorotheenstädtischen Friedhofs findet sich dieses Berliner Ehrengrab: "Johannes Rau, von 1999 bis 2004 der achte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, gehört zu den bekanntesten Politikern des Landes. Seine Amtszeit als Bundespräsident nutzte Rau als moralische Instanz, um im Sinne von 'Versöhnen statt Spalten' immer wieder gesellschaftlichen Ausgleich anzumahnen. Seine Art, den protestantisch-christlichen Glauben auch öffentlich zu leben, trug Rau die Bezeichnung 'Bruder Johannes' ein." Besonders jüngeren Besuchern und App-Benutzern dürfte das vielleicht gar nicht mehr bewusst sein.

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Die Entwicklung der App hat über eine halbe Million Euro gekostet und wurde aus Mitteln der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) finanziert. Sie ist einfach zu bedienen. Auch wenn man manche Gräber aufgrund des starken Bewuchses erst analog-real suchen muss, so klappt die virtuelle Navigation zumindest auf dem Smartphone mühelos. Etwa auch auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin-Prenzlauer Berg: "Der Maler und Kunstsammler Max Liebermann ist einer der bekanntesten Toten des Friedhofs, auf dem unzählige Mitglieder des umfangreichen Familienverbandes zur letzten Ruhe gebettet wurden. Hans Grisebach (1848-1904) ist der Architekt des im Stil einer romanisierenden Neorenaissance errichteten Grabmals mit zweiseitig umfassender Sandsteinarchitektur und einem schmiedeeisernen Gitter." Dass man auf einem jüdischen Friedhof als Mann eine Kopfbedeckung tragen sollte, wird jedoch nicht erwähnt.

Durchschnittlich 25 Grabstätten sind pro Friedhof auf der App vermerkt, je 2500 Text-Zeichen, insgesamt 52 Stunden Vortragszeit für bundesweit als wichtig erachtete Gräber. Eine unabhängige Expertenkommission hat die Auswahl getroffen. Dabei kommen jedoch nicht nur Berühmtheiten zu App-Ehren, sagt Günter Winands, Vertreter der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien: "Am Berliner Invalidenfriedhof finden Sie eben ganz junge Menschen, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Wenn man sieht, wie dort die Eltern über ihre gefallenen Kinder trauern und gleichzeitig auf dem selben Friedhof deren Oberbefehlshaber liegen, dann ist das etwas sehr Bewegendes. Da kann man hautnah auch jungen Menschen Geschichte vermitteln."

Darum geht es in der Hauptsache. Die App ist nicht dafür gedacht, seine eigenen Verwandten zu suchen und zu finden. Dafür müsse man nach wie vor zur realen und analogen Friedhofsverwaltung mit ihren jeweiligen Öffnungszeiten gehen, um im Belegungsplan nach der toten Oma oder dem verstorbenen Onkel zu suchen, sagt Landschaftsarchitektin und Friedhofs-App-Projektleiterin Christa Ringkamp. Rein technisch betrachtet könnte man schon jedes Grab aufnehmen, eine riesige Big-data-Friedhofs-App sozusagen für ganz Deutschland. Aber das sei derzeit kaum finanzierbar. Obwohl es schon denkbar wäre, dass man künftig bei der Bestattung auch eine App-Abgabe zur Registrierung und Pflege der Online-Daten erheben könnte. Doch das ist Zukunftsmusik.

Das Leben bedenken zwischen Zeit und Ewigkeit

Mausoleen, Grüfte und aufwendige Gräber gehören eindeutig der Vergangenheit an. Getrauert wird heute aber immer mehr auch im Internet. Müsste da eine App nicht auch auf diese moderne Trauerkultur eingehen? Pfarrer Peter Storck, Vorsitzender der Stiftung Historische Friedhöfe in Berlin-Brandenburg, verneint: "Das ist keine App, die die moderne Trauerkultur bedient. Unsere Friedhöfe sind wunderbare Orte auch für den modernen Menschen, auch für den vernetzten Menschen, sein Leben zu bedenken zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen Gott und Gottlosigkeit, zwischen Werden und Vergehen."

Uns allen stehe nicht nicht nur eine virtuelle, sondern auch eine reale Beerdigung bevor. Friedhöfe seien eben besondere Orte, auf denen die Lebenden die Toten besuchen könnten. Die neue Friedhofs-App solle ein Lockmittel sein, wieder auf einen Friedhof zu gehen und der Toten und der eigenen Kultur und Geschichte zu gedenken, sagt der Pfarrer.