Der harmlose Titel täuscht: "Der Beutegänger", der zweite Fall für die junge Kommissarin Winnie Heller (Lisa Wagner), ist ein Thriller, der alle Register des Genres zieht. Gerade das Zusammenspiel von Bildgestaltung (Hannes Hubach) und Musik (Johannes Kobilke) funktioniert großartig. Immer wieder sorgen Verfremdungen der Aufnahmen in Kombination mit einer Tonspur, die oft eher aus Geräuschen als aus Musik besteht, für optische und akustische Irritationen, die perfekt die seelische Befindlichkeit der drei Hauptfiguren wiedergeben.
Regisseurin Christiane Balthasar und Autor Mathias Klaschka, dessen Drehbuch auf dem gleichnamigen Roman von Silvia Roth basiert, waren auch für Winnie Hellers ersten Fall, "Tod am Weiher", verantwortlich. Diese Kontinuität macht sich bezahlt: Der zweite Film ist dank seiner enormen Intensität sogar noch besser. Dabei scheint die kriminalistische Ebene zunächst dem üblichen Serienmörderschema zu gehorchen: In Wiesbaden werden kurz hintereinander zwei blonde Frauen erwürgt. Schließlich stellt sich raus, dass diese Morde Signale für eine ganz bestimmte Person sind: Als Studentin war die blonde Hannah Lorenz (Annika Blendl) mit einem Kommilitonen befreundet, der ihr offenes Ohr für seine Probleme missverstand, sich fortan als Verehrer aufdrängte und dies derart hartnäckig tat, dass die junge Frau schließlich sogar umziehen musste. Doch wohin sie auch floh, stets hatte sie das Gefühl, dem "Stalker" nicht entkommen zu können. Allerdings ist ihr Kommilitone vor einigen Jahren in Marokko ums Leben gekommen.
Der Film findet Bilder für diese Paranoia, die den Verfolgungswahn auf beunruhigende Weise bestätigen: Der Mörder (Godehard Giese), der seine Morde als Frau verkleidet begeht, hat Hannahs Wohnung mit Minikameras ausgestattet und kann jeden ihrer Schritte beobachten. Wechselt der Film in die Täterperspektive, werden die Aufnahmen grobkörnig und unscharf. Ab einem bestimmten Punkt gilt diese Form der Bildgestaltung auch für die Kommissarin, denn die gerät gleichfalls aus der Spur: Ihre schon lange im Koma liegende Schwester ist endlich auf dem Weg der Besserung, sie zeigt erste Reaktionen – und stirbt aus heiterem Himmel. Für Winnie Heller und ihre Arbeit bleibt das naturgemäß nicht ohne Folgen, sie macht Fehler und verhält sich unprofessionell, was die Spannung des Film allerdings noch erhöht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Etwas zu kurz kommt diesmal Hellers Kollege Verhoeven (Hans-Jochen Wagner), der im Grunde auf seine Eheprobleme reduziert wird. Trotzdem zeigen die wenigen gemeinsamen Szenen der ungleichen Partner, wie viel Potenzial noch in diesen Figuren steckt. In erster Linie konzentriert sich Klaschkas Drehbuch aber auf den Stalker und sein Opfer. Beide, Godehard Giese wie Annika Blendl, spielen ihre Rollen vorzüglich, und selbstredend kann es am Ende nur einen krimitypischen Weg geben, die permanente Bedrohung zu beenden.