.church und .bible: Wem gehört das religiöse Internet?

Wem gehört das religiöse Internet?
Foto: evangelisch.de
Wem gehört das religiöse Internet?
.church und .bible: Wem gehört das religiöse Internet?
Bei der größten Strukturreform in der Geschichte des Internet werden auch religiöse Internet-Endungen freigeschaltet. Ein umstrittenes Unterfangen, bei dem es um die Frage geht, wer die Hoheit über religiöse Begriffe haben darf.

Bis 2014 bestand das Internet vor allem aus Ländergrenzen: die Endung .de stand (und steht) für deutsche Webseiten, die Endung .fr für französische und so weiter. In diesem Jahr kommen hunderte neuer Endungen hinzu. Sie werden von der ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) freigeschaltet, einer Art globaler Internet-Behörde. "Top Level Domains" heißen diese Namensräume im Netz. Seit März gibt es beispielsweise .berlin, im August startete .reise, und in den nächsten Monaten folgen noch viele andere. Auch religiöse Begriffe finden sich unter den neuen Endungen. Die verschiedenen Glaubensgemeinschaften sind aber höchst ungleich vertreten.

Für eine Bewerbungsgebühr von 185.000 US-Dollar konnte sich im Jahr 2012 jeder um eine Endung bewerben. Dafür mussten die Bewerber ein Nutzungskonzept für die Endung vorlegen. Der Vatikan hat sich gleich viermal das Wort katholisch gesichert: die englischsprachige Endung .catholic sowie das gleiche Wort auf chinesisch, russisch und arabisch. Die American Bible Society wird hinter .bible stehen. Eine türkische Firma interessiert sich für die Endungen .islam, .halal sowie .shia für die schiitische Konfessions-Gemeinschaft im Islam. Ein US-Zertifizierer für koscheres Essen will .kosher betreiben. Die religionsübergreifenden Endungen .church (Kirche) und .faith (Glauben) sind ebenfalls vergeben. Für weitere denkbare Endungen, etwa .jewish, .hindu oder .buddhist, gab es allerdings keine Bewerbungen.

Religiöse TLDs sind umkämpft und umstritten

Um die religiösen Namensräume gab und gibt es viel Streit. Die Saudische Behörde für Telekommunikation hat gegen fast alle religiösen TLDs Einspruch eingelegt. Beispielsweise meinte sie, der Vatikan dürfe den Begriff "katholisch" nicht einfach so monopolisieren. Gegen .bible protestierte unter anderem die Regierung Indiens, da sie die große christliche Bevölkerung des Landes nicht im Bewerbungskonzept berücksichtigt sah. Gegen den Interessenten für .kosher wiederum protestierten andere Zertifizierer für koscheres Essen, die eine Wettbewerbs-Verzerrung befürchteten. Alle Einsprüche wurden abgelehnt, sie haben aber bis heute die Freischaltung der TLDs verzögert.

Tatsächliche Konsequenzen hatten Regierungsproteste bei den islamischen Endungen islam und .halal. Die Regierung von Indien bemängelte auch hier, dass die 120 Millionen Muslime des Landes nicht bei der Konzeption der Endung berücksichtigt wurden. Die Vereinigten Arabischen Emirate störten sich daran, dass eine türkische Firma für die Gesamtheit aller Muslime sprechen will. Die ICANN hat die Freischaltung der beiden Endungen deswegen vorerst gestoppt. Der Bewerber soll sich vorher mit der zwischenstaatlichen Organisation für islamische Zusammenarbeit auf ein Konzept einigen.

Glaubens-Domains als Ware?

Während in diesen Fällen darum gestritten wird, wer legitimerweise eine bestimmte Religionsgemeinschaft im Netz repräsentieren darf, gibt es bei den überkonfessionellen Endungen eine ganz andere Problematik. .church und .faith werden von großen, spezialisierten Massenbewerbern betrieben, die TLDs tendenziell als reine Ware sehen. Sie wollen möglichst viele Adressen verkaufen, am liebsten an jeden. Hinter .church steht beispielsweise das US-Unternehmen Donuts, das sich gleich um 300 unterschiedliche Top Level Domains beworben hat.

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.church ist Mitte September als bisher einzige Endung gestartet. Bis dato sind 6.800 Adressen vergeben. Vor allem kleine, christliche US-Kirchen finden sich darunter und auch Kirchen aus Großbritannien oder Australien. Allerdings gelten zwei Drittel der Adressen nach Angaben eines Branchendienstes als "geparkt". Sie wurden reserviert, um sie später mit Inhalten zu füllen, als Platzhalter für Werbung oder um sie zu einem erhöhten Preis weiterzuverkaufen.

Nicht nur bei Top Level Domains mit religiösem Bezug gibt es solche Auseinandersetzungen. Der Süßwarenkonzern Ferrero will die Top-Level-Domain .kinder betreiben – und zwar als exklusive Markenendung für die konzerneigene Marke "Kinder". Die ICANN hat mittlerweile eigentlich entschieden, dass allgemeine Begriffe auch der Allgemeinheit zugänglich sein müssen. Was mit der Bewerbung um .kinder geschieht, ist aber noch offen. Auf der Seite der ICANN ist als Status "in Vertragsverhandlungen" mit der Internetbehörde angegeben.

Communities bekommen automatischen Zuschlag - im Prinzip

Ärger gibt es auch um die Rolle von Communities. So genannte Community-Bewerbungen, die sich die Unterstützung der jeweils inhaltlich relevanten Organisationen oder Verbände eingeholt haben, bekommen bei Internetendungen mit mehreren Bewerbern automatisch den Zuschlag. Allerdings muss ihnen der Community-Status erst in einer undurchsichtigen Prüfung zugesprochen werden, und das scheitert in der Mehrzahl der Fälle. Erst kürzlich wurde dem ausgefeilten Community-Konzept für die Internetendung .gay der Status verweigert. Als Konsequenz wird die Endung vermutlich dann doch unter allen Interessenten meist bietend versteigert. Eine Ausnahme ist .catholic - auch diese Domain gilt als Community-Bewerbung, der Einspruch aus Indien änderte daran nichts.

Dem Streit um die Internetadressen liegt ein tiefer gehender Konflikt zugrunde. Als die Regeln für die neuen TLDs ab dem Jahr 2008 festgelegt wurden, war die Internet-Behörde ICANN personell noch stark von US-Amerikanern und deren Konzept des freien Marktes dominiert. Im Zweifelsfall sollte eine umkämpfte Endung einfach in einer Auktion an den Meistbietenden gehen. Zudem hatten sich vor allem Markenschutz-Vertreter durch intensives Lobbying weitgehende Privilegien einräumen lassen. Mittlerweile wird allerdings mehr Wert auf eine internationale Besetzung der verschiedenen Gremien gelegt, und zivilgesellschaftliche Gruppen sind im Rahmen des "Multistakeholder-Modells" stärker vertreten.

Dennoch sind die Chancen für nicht-kommerzielle und kleinere Bewerber, an eine der neuen TLDs zu kommen, schlechter als für große Unternehmen. Der Konflikt zwischen den Interessen profitorientierter Konzerne und dem gemeinschaftlichem Interesse an wichtigen Bereichen der Infrastruktur wird also auch mit Top-Level-Domains ausgetragen.