Der Mann hat sich durch den Dschungel gekämpft und in den Dreck gewühlt, er hat im Eis fotografiert und in der Dürre der Sahelzone. Er hat Arbeiter aufgenommen, die in Bangladesch Tanker demontieren, Feuerwehrleute auf den brennenden Ölfeldern Kuwaits, die Opfer der Massaker in Ruanda, Flüchtlinge in Jugoslawien. Jede Fotoserie des heute 70-jährigen Brasilianers Sebastião Salgado erforderte jahrelange Versenkung in die Eigenart von Land und Leuten, die Dynamik politischer und wirtschaftlicher Konflikte. Entstanden ist ein Werk, das fast im Alleingang den globalen "Süden" ausmisst, ein Atlas neuzeitlicher Krisenerscheinungen - Ausbeutung, Unterdrückung, Flucht und Vertreibung, bezeugt in flammend schwarzweißen Bildern.
"Das Salz der Erde", der neue Dokumentarfilm von Wim Wenders, fängt mit solchen Fotos an: Sie zeigen Goldgräber am schlammigen Hang einer brasilianischen Mine. Aus der Distanz betrachtet bilden Hunderte von Männern ein Ornament. Beim näheren Hinschauen beginnen die Details zu sprechen: gespannte Muskeln, an denen erbärmliche Shirts kleben, rutschende Füße in zerschlissenen Stoffschuhen, erschöpfte Gesichter. Der Fotoessay stammt aus den 80-ern, er begründete Salgados internationalen Ruf als "Social Photographer". Auch für den Regisseur Wim Wenders war er der Einstieg ins Werk des Brasilianers.
Aber jenseits dieser Erinnerung an die erste Begegnung nimmt Wenders sich zurück. Der mit Salgados älterem Sohn Juliano Ribeiro als KoRegisseur gedrehte Dokumentarfilm ist eine Verbeugung vor einem Lebenswerk - und ein Versuch, den Bildern des Ausnahmefotografen einen neuen Rahmen zu geben.
Das Herz der Dokumentation ist eine atemberaubende Montage, die Salgados große Fotoessays zu einem Reisetagebuch des Schreckens zusammenfasst - auf der großen Leinwand, begleitet und reflektiert vom Fotografen, dessen Gesicht immer mal wieder durch die Bilder hindurchscheint, entfalten sie eine verzweifelte Leuchtkraft. Salgado ist umstritten, seine Kritiker haben von Elendsglamour gesprochen, und vielleicht könnte man dem Film vorwerfen, dass er dieser Debatte aus dem Weg geht. Tatsächlich macht genau das seine besondere Kraft aus. Hier wird nicht versachlicht, denn der Skandal liegt auf der Hand.
Die Suche nach der unberührten Zivilisation
Die Frage ist: Wie bringt man das Publikum dazu, hinzuschauen und Mitgefühl zu entwickeln für die "Verdammten dieser Erde"? Das Lyrische, Stilisierte und Rhetorische in Salgados Werk, das durchaus an Traditionen der lateinamerikanischen Dokumentarfotografie anknüpft, reißt die Geschichte der Unterdrückung aus dem Zusammenhang der täglichen Nachrichten, es macht die Hungernden und Sterbenden, Vertriebenen und Verlorenen groß, so groß, wie es sich gehört. Einmal sieht man im Film eine Nahaufnahme von drei afrikanischen Babys - das mit dem leeren Blick, sagt Salgado, werde sterben.
Irgendwann ist Salgado zusammengebrochen. Schließlich begann er, die verödete Farm seiner Familie in einem Kraftakt wieder aufzuforsten - sie ist heute ein Nationalpark -, und sein jüngstes Fotoprojekt, "Genesis", sucht nach der Schönheit in der Natur, nach Menschen, Landschaften und Tieren, die von der Zivilisation unberührt sind. Der Film macht klar, dass das keine Wendung ins Esoterische ist. In einer ausholenden Bewegung, im Fluss der Bilder macht er sinnlich erfahrbar, wie weit sich der Mensch im Zuge der Naturbeherrschung von sich selbst entfernt hat, wie die Formen der Ausbeutung einander bedingen. Das ergibt am Ende mehr als eine Künstlerbiografie. Es ist eine eigene ästhetisch-politische Intervention.
Brasilien/Italien/Frankreich 2014. Regie: Juliano Ribeiro Salgado, Wim Wenders. Buch: W. Wenders, J. R. Salgado, David Rosier, Camille Delafon. Mitwirkende: Sebastião Salgado, J.R. Salgado, W. Wenders. Länge: 110 Minuten.