In Gesprächen oder in einer Therapie könne Symptomen wie Schlaflosigkeit, Depressionen und Angstattacken begegnet werden, sagte Radebold am Sonntag dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Selbst ein 75-Jähriger kann doch noch lange leben. Ein paar Jahre ohne Kummer, ohne Panikattacken, ohne Verzweiflung und Alpträume zählen viel", betonte der Wissenschaftler, der am Dienstag in Bremen eine Themenwoche zu Kriegskindern eröffnet.
Von den damaligen Kindern und Jugendlichen seien etwa 30 Prozent als traumatisiert und weitere 30 Prozent als beschädigt anzusehen, sagte der 79-jährige Psychoanalytiker und Psychiater aus Kassel. Radebold hat selbst Ausbombung, Flucht und Vaterlosigkeit erlebt. "Früher wurde den Betroffenen gesagt, sei doch froh, dass du überlebt hast." Gespräche über traumatisierende Erlebnisse wie Vergewaltigung, Tod, Hunger und Kälte seien tabu gewesen: "Für die inneren, die unsichtbaren Verwüstungen bei sich selbst und bei den Kindern hatte im Nachkriegsdeutschland kaum jemand Augen und Ohren."
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Diese Erlebnisse könnten aber nach den Worten des Experten die Seele bis zum Lebensende belasten. "Das Unbewusste ist zeitlos." Unbearbeitet könnten Verletzungen sogar an die nächste Generation weitergegeben werden. So fragten sich die Kinder von Kriegskindern möglicherweise, warum sie immer alles aufessen, immer auf gepackten Koffern sitzen, sofort nach der Sicherheitstreppe im Hotel suchen müssten oder ihre Eltern Angst vor Feuerwerk und dunklen Kellern hätten.
Kriegskinder würden ihre Erinnerungen und Verhaltensweisen nicht los, betonte Radebold. "Zum Beispiel die fehlende Rücksichtnahme auf den eigenen Körper, die Hitler von der Jugend gefordert hat: Sei hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie ein Windhund." Manche könnten sich deshalb bis heute nichts Gutes tun, missachteten ihre Bedürfnisse und ihren Körper. Gerade Männern, die den Krieg als Kinder erlebt hätten, falle es schwer, die eigenen Kinder zu umarmen.
Um generationenübergreifende Aspekte oder auch den Einfluss der Erlebnisse von Kriegskindern auf eine Demenz zu klären, seien noch große Forschungsanstrengungen nötig. "In Ergänzung der bisherigen Forschungen brauchen wir in Deutschland ein psychohistorisches Zeitzeugenarchiv der Jahrgänge zwischen 1929 und 1950", sagte Radebold. "Diese Erkenntnisse werden dringend auch angesichts der vielen aktuellen Kriege benötigt."