Der Deutsche Juristentag hat am Mittwoch kontrovers über die islamische "Paralleljustiz" in Deutschland diskutiert. Als einer der Hauptreferenten appellierte der Karlsruher Rechtsanwalt Michael Rosenthal am Mittwoch an die deutschen Juristen, mehr Verständnis für zugewanderte Muslime zu zeigen. "Es wird darum gehen, die Justiz so zu verändern, dass sie ihr Vertrauen gewinnt." Skeptisch zu möglichen Schritten auf einem solchen Weg äußerte sich der Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Professor Henning Radtke.
Bislang sei das Verhältnis der meisten Muslime zum deutschen Rechtswesen von tiefem Misstrauen geprägt, sagte Rosenthal. Deshalb beauftragten sie bei Konflikten häufig lieber eigene "Streitschlichter" oder "Friedensrichter". Der Jurist gilt als herausragender Strafverteidiger und hat schon Top-Manager, Spitzenpolitiker, aber auch vermeintliche islamistische Terrorhelfer vertreten.
Ein zentraler Wert für Muslime sei die Ehre, sagte er. Diese spiele aber in der deutschen Justiz keine Rolle: "Ich vermute einen Zusammenhang zwischen der Abneigung gegen staatliche Gerichte und der Erfahrung, dort unehrenhaft behandelt worden zu sein." Dies könne sich in grobem Verhalten einzelner Beamter ebenso äußern wie in unbedachten kleinen Bemerkungen. Es müsse der deutschen Justiz gelingen, "ehrenhafte" Verfahren zur Verfügung zu stellen.
Islamische Streitschlichter sind keine Seelsorger
Der Rechtsanwalt zeigte sich zuversichtlich, dass eigene Verfahren von Zuwanderern zur Streitschlichtung in das deutsche Rechtssystem eingegliedert werden können, und zwar über den Täter-Opfer-Ausgleich. "Dort gibt der Staat einen Konflikt an die Beteiligen zurück in der Hoffnung, dass sie ihn selbst lösen können." In diesem Fall werde es überflüssig von einer "Paralleljustiz" zu sprechen. Beim Täter-Opfer-Ausgleich äußerten sich beide Seiten häufig so offen, wie sie es vor Gericht nie tun würden, sagte Rosenthal. Deshalb könne möglicherweise auch hier das bei Pfarrern anerkannte Seelsorge-Geheimnis gelten.
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Das bezweifelte Bundesrichter Radtke. Islamische Streitschlichter seien nicht von vornherein als Seelsorger zu betrachten. Beim Täter-Opfer-Ausgleich gehe es um materiellen Ausgleich und nur am Rand um Seelsorge. Zudem erfüllten Streitschlichtungen innerhalb von Religionsgemeinschaften nicht die methodischen Mindeststandards dieses Rechtsinstituts.
Beim 70. Deutschen Juristentag diskutieren bis Freitag rund 2.500 Anwälte, Richter und Wissenschaftler über aktuelle Fragen des Rechts. Einer der Schwerpunkte ist die kulturelle und religiöse Pluralisierung in Deutschland und ihre Folgen für das Strafrecht. Dazu will der Juristentag am Donnerstag Empfehlungen an den Gesetzgeber verabschieden.