Man möchte sich dieser Tage manchmal die Augen reiben – kann das wirklich sein? Da vergeht kaum ein Wochenende ohne Gedenkfeier für Opfer des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Der blutige Kampf um den Hartmannsweilerkopf. Der Einmarsch nach Belgien. Das Massaker der deutschen Wehrmacht in Civitella. Die Staatsoberhäupter kommen kaum hinterher mit dem Absingen der Hymnen, dem Niederlegen der Kränze und dem Beschwören: "Nie wieder Krieg!"
Und in denselben Wochen, im selben Sommer 2014, wird kübelweise Häme ausgeschüttet über all jene, die sich angesichts der aktuellen Konflikte in der Welt als Pazifisten zu erkennen geben. Die vorsichtig fragen, ob es wirklich richtig ist, wenn Deutschland Waffen in den Irak liefert. Ob Deutschland sich an einem Militäreinsatz beteiligen soll. Die gerne über andere Möglichkeiten von Konfliktlösung nachdenken wollen.
Das Jahr 2014 hält den traurigen Rekord, mehr bewaffnete Konflikte auf der Welt zu zählen als jedes Jahr zuvor. Jeder Krieg ist anders, und bei keinem gibt es einfache Lösungen. Da ist es doch zumindest legitim zu fragen, wie unlängst der Liedermacher Konstantin Wecker, warum eigentlich so viele Think Tanks für militärische Strategien unterhalten werden – und warum es im Vergleich dazu so wenig gut ausgestattete Friedensforschung gibt. Und man wird, wie die Theologin Margot Käßmann im Spiegel, wohl darauf hinweisen dürfen, dass Deutschland 30 Milliarden Euro für Militär ausgibt, aber nur 29 Millionen im Jahr für weltweiten Friedensdienst.
Ringen um den richtigen Weg
Hoho. Wie naiv. Wie romantisch. "Mit Yogamatten" habe sich noch kein kurdischer Jeside verteidigen können, höhnt der Grünen Politiker Cem Özdemir. Auch nicht "mit Gebetskreisen" sekundiert Joschka Fischer. Der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer schreibt, wer jetzt gegen Waffenexporte sei, zeige eine "fröhliche Unempfindlichkeit für moralische Dilemmata". Und der CDU-Europapolitiker Elmar Brok beklagt im Morgenmagazin gar eine "Käßmannisierung der Republik".
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Es sind nicht die Argumente, es ist der Stil, der mich fassungslos macht. Yogamatten, Betkreise, fröhlich – geht man so mit den Argumenten derer um, die in einer klassischen Dilemma-Situation tatsächlich ringen um den richtigen Weg? Und das in einem Sommer, in dem wir alle mit Schrecken auf die Bilder sehen, was deutsche Waffen vor 100 Jahren und vor 75 Jahren angerichtet haben? Zumindest verbale Zurückhaltung wäre angebracht, sonst ist mir vor der Özdemisierung und der Brokisierung der Republik deutlich mehr bange als vor der Käßmannisierung.
Ich war zufällig bei einer der Kriegs-Feierlichkeiten diesen Sommer dabei. Nicht als Journalistin, sondern als ehemalige Schülerin eines engagierten Geschichtslehrers. Sein Vater hat als 17jähriger am Hartmannsweilerkopf gekämpft und sinnlos getötet. Drum lehrte er seine Schüler ein Leben lang: "Nie wieder!"
"Boucherie" heißt auch Gemetzel
Mit dem alten Lehrer stand ich vor drei Wochen auf dem Hartmannsweilerkopf, und wir waren sehr ergriffen. 30.000 Männer sind dort gestorben, junge Kerle mit 17 Jahren. Eine "Boucherie", wie Francois Hollande sagte, und ich erklärte meinen Kindern abends, dass die französische Vokabel "Boucherie" tatsächlich nicht nur Metzgerei heißt, sondern Gemetzel.
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Und dass ich stolz bin. Auf meine 14- und 17jährigen Söhne, die mit ihren französischen Austausch-Schülern Fußball spielen statt auf sie zu schießen. Auf die vielen Söhne und Töchter, die an diesem Sonntag im August oben auf dem Berg standen, sich ihre Lebensgeschichten und die ihrer Väter und Opas erzählten. Und sich einig waren: Wir haben viel dazu gelernt in 100 Jahren. Wirklich? Dort oben, auf dem unwirtlichen Hartmannsweilerkopf am Sonntagmittag, da war man sich noch einig – nie wieder.
Abends, im Wohnzimmer vor der Tagesschau, klang das schon ganz anders. Die Franzosen liefern Waffen in den Irak, also wir auch, ganz schnell und ganz dringend? In eine weitere "Boucherie", von der alles andere als klar ist, wo welche Waffen letztlich landen? Wer zögerlich ist, wer abwägen will, was der am wenigsten schlechte Weg ist – denn nur darum geht es ja – der und die werden seither für doof erklärt und lächerlich gemacht. Man reibt sich wirklich die Augen – ein seltsames Jahr, dieses 2014.