Die Abenteuer des legendären Baron Münchhausen sind Teil des deutschen Kulturguts. Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen hat es sogar zur Redensart gebracht. Geschichten wie jene vom Ritt auf der Kanonenkugel oder der Reise zum Mond haben es verdient, immer wieder neu erzählt zu werden, zumal Autor Marc O. Seng einen neuen Ansatz gefunden hat.
Wachsende Verantwortung
Die Erlebnisse des "Lügenbarons" existieren ja nicht als durchgehende Geschichte, sondern nur als Episoden, und so erzählt sie auch der Klassiker mit Hans Albers aus dem Jahr 1943: als Rahmenhandlung mit Rückblenden. Zwar beginnt auch Andreas Linke seinen Film mit einer Geschichte, die Münchhausen in einem Wirtshaus zum Besten gibt, doch Motor der eigentlichen Handlung ist ein Mädchen aus St. Petersburg, das sich als seine Tochter ausgibt. Im ersten Teil meistert das ungleiche Gespann im Lauf der Rückreise nach Russland einige der legendären Herausforderungen. Teil zwei spielt zunächst im Schloss von Münchhausens Geliebter, Katharina der Großen, und wird dann zur Entführung aus dem Serail: Die eifersüchtige Katharina lässt das Mädchen verschleppen; ihr intriganter Berater (Tonio Arango) verkauft es an Münchhausens osmanischen Erzfeind (Tayfun Bademsoy als Operettensultan).
Dank diverser Filmförderungen stand Linke ein Budget von rund 5 Millionen Euro zur Verfügung, die man dem Film nicht zuletzt dank der vielen Kostüme (Juliane Maier) und des liebevollen Szenenbilds (Michael Köning) auch ansieht. Schon allein die Schauplätze sind großartig. Die Szenen auf dem Mond sind in einem brandenburgischen Tagebau entstanden. Als Double für den Zarenpalast diente das prachtvolle Ludwigsburger Schloss, die Burg Burghausen wurde zum Piratennest. Die Filmtricks sind zwar digital entstanden, wirken aber trotzdem sympathisch altmodisch, weil sie stets der Geschichte dienen. Schlicht famos ist Jan Josef Liefers, der den Baron durchaus facettenreich darstellt. Anfangs ein alkoholisiertes Wrack, das stark an Jack Sparrow aus "Fluch der Karibik" erinnert (auch musikalisch gibt es durchaus Parallelen), wächst Münchhausen mit der Verantwortung, die er für das Mädchen übernehmen muss. Die Zwillingsschwestern Helen und Isabelle Ottmann machen ihre Sache als Waisenkind Frieda nicht minder fabelhaft. Gleichfalls treffend besetzt sind Jessica Schwarz als zwar verarmte, aber burschikose Landadelige, die dem Baron kess Contra gibt, und Katja Riemann als Katharina. Dank der pointierten Dialoge mit ihrer Mischung aus veralteter Wortwahl und zeitlosem Humor sorgt das Quartett immer wieder dafür, dass "Baron Münchhausen" vor allem eine Komödie ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Aber natürlich auch ein Abenteuerfilm, wenngleich für die ganze Familie; also nie übermäßig spannend, doch dafür um so einfallsreicher. Allein die Begegnung mit dem Mann im Mond (Tilo Prückner) ist ein wahres Kleinod. Ohnehin bleibt der Baron bei aller subtilen Ironie ein tollkühner Teufelskerl, der kein Wagnis scheut. Die Perspektive des Kindes hat dabei einen interessanten doppelten Effekt: Einerseits ist Frieda angemessen beeindruckt, andererseits spürt sie, dass Münchhausen bei aller Prahlerei ein guter Mensch ist. Ansonsten beherzigen die Filmemacher die Maxime des Barons, wie man Geschichten erzählen soll: immer mit dem Herzen. Und dass die Helden ihre Rettung ausgerechnet heißer Luft zu verdanken haben, ist nur das letzte von vielen Augenzwinkern. WDR Fernsehen zeigt beide Teile hintereinander.