Das missachtete Symbol des Lebens

Foto: epd-bild / Stefan Trappe
Mobile Rot-Kreuz-Klinik im Erdbebengebiet von Haiti
Das missachtete Symbol des Lebens
Die erste Genfer Konvention von 1864 regelte die Versorgung von Verwundeten im Krieg und machte das Rote Kreuz zum Erkennungszeichen der Helfer. Doch bei Kämpfen wie in Gaza oder Syrien geraten noch immer Ärzte und Krankenhäuser in die Schusslinie.
22.08.2014
epd
Jan Dirk Herbermann

Es ist ein heißer Tag im Juli 2014 in Genf, die weiße Fahne mit dem roten Kreuz auf dem Hauptquartier des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) weht auf Halbmast. In dem alten Gebäude an der Avenue des Friedens wissen die Mitarbeiter: Wieder ist ein Kollege im Einsatz gestorben - wie schon Hunderte andere in der 150-jährigen Geschichte des Roten Kreuzes. "Jeder Verlust ist doppelt tragisch", sagt Chris Giannou, der frühere Chefchirurg des IKRK. "Wir verlieren einen Kollegen. Und die Opfer der Kriege verlieren einen Menschen, der sie hätte retten können."

Es traf einen Freiwilligen des Palästinensischen Roten Halbmondes. Er war im Gaza-Konflikt in das Feuer geraten. Der Mann wollte am 25. Juli südlich von Gaza-Stadt Verwundete behandeln. Andere Helfer, die den sterbenden Kollegen abtransportierten, wurden auch verletzt. "Unsere Mitarbeiter und Freiwilligen sind rund um die Uhr im Einsatz, um Leben zu retten, Hilfe zu bringen und die Hoffnung aufrechtzuerhalten", sagt Robert Mardini, Operationschef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz im Nahen und Mittleren Osten.

Kernstück des humanitären Völkerrechts

Die Helfer von Gaza standen damit in der besten Tradition des Roten Kreuzes, jener neutralen und oft verschwiegenen Genfer Organisation, deren Symbol vor genau 150 Jahren unter völkerrechtlichen Schutz kam: Am 22. August 1864 unterzeichneten Vertreter von zwölf Staaten im Genfer Rathauses die erste Genfer Konvention zur Linderung der Lage verwundeter Soldaten im Feld, wie es hieß. Allein vier Emissäre aus deutschen Staaten signierten das Dokument: aus Baden, Hessen, Preußen und Württemberg.

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Die zehn Artikel bestimmen, dass Verwundete, Feldärzte, Sanitäter und Lazarette nicht mehr Ziel von Angriffen sein dürften. Sie seien von den Kampfhandlungen auszuschließen. Laut Artikel 7 sollte eine Fahne und eine Armbinde, die ein "rotes Kreuz auf weißem Grund tragen", die neutralen Lazarette und das neutrale Hilfspersonal kenntlich machen. Damit erlangte das Rote Kreuz einen eigenen internationalen Status. Die erste Genfer Konvention gilt heute als Grundpfeiler des humanitären Völkerrechts. Später kamen drei weitere Konventionen hinzu.

Die eigentliche Geburtsstunde des Roten Kreuzes hatte schon vorher geschlagen: Am 24. Juni 1859 lieferten sich Österreich auf der einen Seite und Italien sowie Frankreich auf der anderen Seite in Solferino einen erbitterten Kampf. Am Abend bedeckten 40.000 Verwundete die blutgetränkte Erde. Ein junger Mann aus Genf, Henry Dunant (1828-1910), sah das Grauen. Und half den Opfern, so gut er konnte. Das Elend prägte Dunant so tief, dass er "Gesellschaften zum Schutze der Verwundeten" anregte, daraus entstand das heutige Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

150 Jahre nach der Unterschrift unter die erster Genfer Konvention präsentiert sich das IKRK als führende internationale Hilfsorganisation, die mit rund 12.000 Mitarbeitern den Opfern von Konflikten und Naturkatastrophen beisteht. In der ganzen Welt helfen nationale Rotkreuz- oder Rothalbmond-Gesellschaften. Wohl keinem anderen Symbol bringen die Menschen so viel Vertrauen, so viel Respekt entgegen wie dem roten Kreuz auf weißem Grund.

Eiskalte Logik der Angreifer

Doch wird das Symbol auch missachtet. Soldaten und Rebellen zielen bewusst auf medizinisches Personal mit dem Roten Kreuz. Die eiskalte Logik der Angreifer: Fällt ein Arzt oder ein Ambulanzteam aus, wird der Feind massiv geschwächt. Nach dem Tod des Kollegen am 25. Juli in Gaza ereilte am ersten August die nächste Schreckensnachricht das IKRK: Die Anlage des Palästinensischen Roten Halbmondes in Khan Junis im südlichen Teil des Gazastreifens kam unter Beschuss, fünf Menschen wurden verletzt.

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Auch im Syrien-Konflikt gehörten Attacken auf Mediziner, Krankenwagen und Krankenhäuser von Anfang an zum blutigen Alltag. So geriet ein Krankentransporter des Syrisch-Arabischen Roten Halbmondes im September 2011 in der Stadt Homs ins Kreuzfeuer - auf der Bahre im hinteren Teil des Fahrzeugs lag ein schwer verletztes Opfer der Kämpfe. Bei dem Beschuss wurden alle Mitglieder des Hilfsteams verletzt, einer starb. 

Warum begeben sich die Rot-Kreuz-Helfer überhaupt in die Gefahr? "Ich wurde ein Arzt, weil ich die Menschen mag", sagt der frühere IKRK-Chefchirurg Giannou. "Ich dachte immer, ich kann meinen Mitmenschen am besten helfen, indem ich das Leiden lindere." Aber der Mann, der die Schrecken des Krieges so oft und so nah erlebte, schränkt gleich ein: "Ich gebe erst gar nicht vor, Leben zu retten. Ich schiebe den Tod hinaus."