Natürlich ist die Geschichte vom selbstverliebten Zeitungsmacher, der bei Frauen nicht nein sagen kann, kein Film über Frank Schirrmacher. Nach dem plötzlichem Tod des FAZ-Herausgebers vor einigen Wochen sieht man "Männertreu" trotzdem mit anderen Augen: Auch der ungemein eloquente und von Matthias Brandt kongenial verkörperte Georg Sahl ist Herausgeber einer Frankfurter Zeitung mit überregionaler Bedeutung, und das ist beileibe nicht die einzige Parallele zwischen der als Homme de lettres sowie "letztem großen bürgerlichen Liberalen" gepriesenen Filmfigur und dem verstorbenen Publizisten. Über Sahl wird gesagt, er wolle das geistige Klima des Landes prägen; ein Vorsatz, den Buchautor Schirrmacher stets beherzigt hat.
Kratzer in der makellosen Fassade
Darüber hinaus ist Brandt wie nur wenige Schauspieler selbst seiner Klasse in der Lage, Charaktere derart facettenreich zu verkörpern, dass sie Protagonist und Antagonist in einer Person sind. Für den Kratzer in der ansonsten makellosen Fassade sorgt weniger Sahls ausschweifendes Liebesleben als vielmehr sein Umgang damit, als es nach einem Unglücksfall öffentlich wird. All dies wäre schon Handlung genug für eine fesselnde Geschichte, doch zur Tragödie wird das Drama, weil Schriftstellerin Thea Dorn in ihrem überhaupt erst dritten Drehbuch nach zwei "Tatort"-Krimis die Handlung um zwei wesentliche Aspekte ergänzt: Sahl soll Bundespräsident werden; und ausgerechnet sein Sohn (Maxim Mehmet) bringt mit einer gefälschten Mail eine Lawine ins Rollen, die am Ende fast alle Beteiligten unter sich begräbt.
Der Hessische Rundfunk bleibt mit diesem Film seiner Linie treu, den Mittwochstermin im "Ersten" um ausgefallene Stoffe zu bereichern. Inhaltlich besteht der besondere Reiz der Eigenproduktion in der Verquickung des Familiendramas mit den Handlungsbereichen Medien und Politik, denn selbstredend sind Sahls Seitensprünge ein gefundenes Fressen für Fernsehen und Presse. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Moderatorin (Claudia Michelsen) einer populären Talkshow, die die Doppelmoral einiger Journalisten personifiziert: Erst lässt sie sich willig von Sahl vernaschen, dann widmet sie ihre nächste Sendung der Diskrepanz zwischen seiner sexuellen Umtriebigkeit und den Anforderungen des höchsten Staatsamts.
Man mag einwenden, dass die Welt der wohlhabenden Sahls gerade auch durch Hermine Huntgeburths Inszenierung allzu einseitig ausgefallen sei, zumal die in distanziertem Graublau gehaltenen Bilder (Sebastian Edschmid) ausgesprochen kühl sind. Sahls Gattin (Suzanne von Borsody) erträgt die Seitensprünge bis zur Selbstverleugnung und tut alles für eine intakte Fassade, doch in der Realität gibt es genügend prominente Beispiele für selbstbewusste Dulderinnen an der Seite prominenter Politiker. Die junge Geliebte Sahls ist Volontärin der Zeitung, und natürlich ist es kein Zufall, dass auch mal die Bezeichnung "Praktikantin" fällt. Peri Baumeister versieht die verliebte Nina, die nach einem Streit mit Sahl blind vor Zorn vor ein Auto läuft, mit genau der richtigen Hingabe. Zweite tragische Figur der Geschichte ist Sahl junior, den der Fluch einer gutgemeinten bösen Tat trifft: Er unterschreibt eine vermeintlich falsch adressierte Mail, die er Nina vom Rechner seines Vaters schickt, mit dem Namen seiner Frau, was prompt eine weitere Lawine auslöst.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Aus dem Rahmen der ansonsten überzeugenden Figuren fällt allein der von Ronald Kukulies als leicht schmieriger Spin-Doctor verkörperte Pressesprecher, der Sahls Ansehen nach dem Skandal retten soll. Davon abgesehen zeichnet sich der Film nicht allein durch inhaltliche, sondern gerade auch durch darstellerische Komplexität aus; dennoch ragt Matthias Brandt aus dem guten Ensemble noch heraus. Auf Dauer nervig sind allein die ruckartigen Zooms, die keinerlei dramaturgische Bewandnis haben und daher völlig unmotiviert wirken.