"Wenn es aufs Sterben zuginge", würde Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), seiner Frau auch beistehen, wenn sie das "Geschenk des Lebens an Gott zurückgeben" wollte.
"Für Anne würde ich auch etwas gegen meine Überzeugung tun", sagte der evangelische Theologe in einem Interview mit dem Magazin "stern" auf die Frage, ob er seine Frau auch in die Schweiz zur Sterbehilfe begleiten würde. Zugleich machte Schneider deutlich, dass er jedoch alles versuchen würde, um seine Frau "für einen anderen Weg zu gewinnen".
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Ende Juni hatte der 66-jährige Schneider überraschend seinen Rückzug vom EKD-Ratsvorsitz für November angekündigt, um seiner ein Jahr jüngeren, an Krebs erkrankten Frau zur Seite zu stehen. "Jetzt ist eine Zeit, da geht die Liebe zu meiner Frau vor", begründete Schneider diesen Schritt. Das Ehepaar wolle in dieser schweren Zeit "die guten Tage miteinander verbringen", äußerten Anne und Nikolaus Schneider laut Vorabbericht im Gespräch mit dem "stern".
In einem weiteren Interview in der "Zeit" erhoffte sich Anne Schneider, dass ihr Mann sie im Ernstfall bei der Sterbehilfe unterstützt. "Ich hoffe, wenn ich selber an den Punkt kommen sollte, sterben zu wollen, dass mein Mann mich dann in die Schweiz begleitet", sagt sie. Das Paar hat nach eigenen Angaben bereits über das Thema gesprochen. Der EKD-Ratschef hat seiner Frau zugesichert, sie auch in Sachen Sterbehilfe nicht alleinzulassen. "Dazu stehe ich", sagt Nikolaus Schneider. "Die Liebe ist entscheidend."
Die Krebserkrankung Anne Schneiders fällt in eine Zeit, in der in Deutschland verstärkt über das Thema Sterbehilfe diskutiert wird. Die Freigabe des assistierten Suizids in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden löste eine heftige internationale Diskussion aus. In der Bundesrepublik steht die gezielte Herbeiführung des Todes eines Patienten unter Strafe. Beihilfe ist aber erlaubt. Der Bundestag soll im Herbst 2015 über eventuelle gesetzliche Regelungen entscheiden.
Hilfe beim Sterben oder Hilfe zum Sterben?
Die Schneiders haben in der Frage unterschiedliche Auffassungen. Nikolaus Schneider hält Hilfe beim Sterben für legitim, nicht aber Hilfe zum Sterben. Seine Frau, selbst studierte Theologin, nennt das eine "Elfenbeinturm-Unterscheidung". Sie spricht sich auch für organisierte Sterbehilfe aus. "Zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen gehört für mich eine Gestaltungsfreiheit von Anfang bis Ende dazu", sagt sie. Es sei Teil der Verantwortung des Menschen zu entscheiden, "jetzt gebe ich mein von Gott geschenktes Leben dankbar an ihn zurück".
Klar ist für das Ehepaar jedoch, dass mit Sterbehilfe kein Geld verdient werden darf. "Und es darf kein anonymisiertes Sterbehilfe-Modell geben", ergänzte Nikolaus Schneider. Ähnlich hatten sich leitende evangelische Geistliche in der Vergangenheit immer wieder geäußert. So sagt der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, Menschen dürften nicht "manipulativ in eine Situation gebracht werden, für sich oder andere zu entscheiden, das Leben aktiv zu beenden". Um unnötiges Leiden zu verhindern, sollten alle medizinischen Möglichkeiten genutzt werden. Deshalb unterstütze die Kirche die Hospizbewegung.
Anne und Nikolaus Schneider sind seit 1970 verheiratet. Das Paar lernte sich im Theologiestudium kennen. Während Anne Schneider Lehrerin für Religionen und Mathematik wurde, ging Nikolaus Schneider in den Pfarrdienst. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Die dritte und jüngste Tochter Meike starb 2005 im Alter von 22 Jahren an Leukämie. "Der Tod meiner Tochter Meike hat meinem Glauben Risse gegeben", sagte der frühere Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland dem "stern".
Doch für theologische Erklärungen wie "Gott prüft uns durch solche Schicksalsschläge" zeigt Schneider wenig Verständnis: "Mit dieser Art göttlicher Pädagogik kann ich nichts anfangen", sagte er.
Sehen Sie hier die Rücktrittserklärung von Nikolaus Schneider im Video: