Japan ein Jahr nach "3/11": Neue Chancen, alte Probleme

Japan ein Jahr nach "3/11": Neue Chancen, alte Probleme
Die japanische Wirtschaft kommt ein Jahr nach dem Dreifach-Desaster aus Erdbeben, Tsunami und Atomunfall langsam wieder auf die Beine. Die Katastrophe bietet neue Chancen. Alte Probleme bleiben dagegen.
06.03.2012
Von Lars Nicolaysen

Dicker hätte es für Japans Wirtschaft kaum kommen können. Die vom großen Nachbarn China gerade zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt degradierte Hightech-Nation erholt sich langsam wieder vom Lehman Brothers-Schock - da folgt auch schon der nächste Tiefschlag: Ein ungeheueres Erdbeben der Stärke 9,0 und ein Jahrhundert-Tsunami verwüsten am 11. März 2011 den Nordosten des Landes und machen die Hoffnung auf eine schnelle Erholung zunichte.

Die gewaltigen Fluten walzen Produktionsanlagen nieder und zerreißen die Zulieferketten so wichtiger Unternehmen wie Toyota. Es kommt weltweit zu enormen Produktionsausfällen und Absatzproblemen. Die japanischen Verbraucher stehen unter Schock. Aus Angst vor der Zukunft und weiteren Katastrophen halten sie sich mit Ausgaben plötzlich drastisch zurück und sparen ihr Geld lieber.

Unterbrochene Zulieferkettenverteuern Japans Export

Heute, ein Jahr nach "3/11", sind diese Folgen der Katastrophe weitgehend im Griff. Die Lieferketten waren bereits bis zum Sommer vergangenen Jahres, also nur wenige Monate nach Beginn der Katastrophe, wieder größtenteils hergestellt - viel schneller, als manche Ökonomen gedacht hatten. Doch ehe es sich Japans Unternehmensführer versahen, folgte bereits der nächste Schlag. Wieder waren es Naturgewalten, diesmal im benachbarten Thailand.

Abermals wurden die Zulieferketten unterbrochen, betroffen waren vor allem die Elektronik- und die Autoindustrie. Hinzu kommt der rasante Höhenflug des Yen, den die Anleger in Zeiten der europäischen Schuldenkrise als "sicheren Hafen" ansteuern. Das verteuert Japans Ausfuhren.

Inzwischen haben die Japaner jedoch auch die Folgen der Thailand-Katastrophe wieder im Griff. Die Investitionen steigen, Experten rechnen nun wieder mit einem konjunkturellen Aufschwung.

"Rein ökonomisch steht Japan durch den Wiederaufbau der Katastrophenregionen sogar besser da als andere Länder", sagt auch der Ökonom Martin Schulz vom Fujitsu Research Institute in Tokio. Als Beispiel führt er das mit der Schuldenkrise kämpfende Europa an. Nachdem die Zerstrittenheit der politischen Klasse in Japan und der Machtkampf der Regierung mit der Bürokratie dazu geführt hatten, dass erste Zusatzetats zur Finanzierung des Wiederaufbaus nur äußerst langsam aufgestellt und implementiert wurden, soll es jetzt vorangehen.

Zwei weitere Zusatzetats mit einem Volumen von vier Prozent des Bruttosozialprodukts beginnen seit Anfang dieses Jahres zu greifen. In der Baubranche herrscht laut Experten inzwischen sogar Arbeitskräftemangel, so viel gibt es in den Tsunami-Gebieten zu tun. Allerdings wird alles in alter Manier über Schulden finanziert. Dabei ist Japan schon jetzt die am höchsten verschuldete Industrienation, die Verschuldung beläuft sich auf rund 210 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - wobei der Staat vor allem bei den eigenen Bürgern in der Kreide steht.

Sonderwirtschaftszonen mit Steueranreizen

Inzwischen gibt es zwar eine Debatte über eine Reform des Steuersystems und eine Anhebung der Verbrauchssteuer von derzeit fünf Prozent, Kritiker beklagen jedoch einen Mangel an Fortschritten. Der erwartete Aufschwung durch den Wiederaufbau dürfte nach Ansicht von Ökonomen bis ins nächste Jahr andauern. Dazu tragen auch Sonderwirtschaftszonen mit Steueranreizen für Investitionen bei. Jetzt komme es darauf an, dass Japan die Chancen für Reformen zum Beispiel im Agrarbereich umfassend nutzt, so die Experten.

Wesentlich stärker als die Folgen der Katastrophe von "3/11" beeinflussen auch gegenwärtig der starke Yen und die Verlangsamung seines Exportmotors Japans Wirtschaft. Zwar haben Japans Unternehmen schon viele Produktionskapazitäten ins Ausland verlagert. Aber gerade im Auslandsbereich liegt noch unausgeschöpftes Potenzial. So gehen nur 17 Prozent des Bruttosozialprodukts als Exporte ins Ausland, in Deutschland sind es fast 50 Prozent. Hinzu kommt die nur langsame wirtschaftliche Integration japanischer Unternehmen in den benachbarten asiatischen Wachstumsmärkten. Die Katastrophe bietet Japan also neue Chancen, langfristige Probleme und die rasante Überalterung der Gesellschaft bleiben aber bestehen.

dpa