Ich heiße nicht Jakob, lebe in einer anderen Zeit, bin weiblich und habe nur ein Kind, geschweige denn mehrere Männer. Auch hat meine Geschichte nicht viel mit der von Jakob gemein, der im Alten Testament die ganze Nacht am Fluss Jabbok mit Gott ringt - und am Schluss gesegnet wird. Trotzdem rührt mich sein Erlebnis immer wieder aufs Neue - in mir lässt es Bilder entstehen.
Auch ich habe mit Gott gerungen und tue es auch heute noch, nach meiner Taufe, immer mal wieder. Tatsächlich bin ich diejenige, die ringt, und nicht Gott ist es, der immer wieder einen Beweis oder Wink von mir braucht, dass wir miteinander leben.
Ich heiße Maja, bin Mitte vierzig, habe einen erwachsenen Sohn und arbeite seit 20 Jahren als Krankenschwester in Norddeutschland. Obwohl ich immer ein bodenständiges Leben geführt habe, hatte ich so lange ich denken kann das Gefühl, dass etwas in mir fehlte.
Aufgewachsen bin ich in einer Familie, die zwar nicht Gott, umso mehr aber die Kirche als ein Instrument von Unterdrückung und Leid ansah und die mir das auch mit glaubhaften Argumenten verständlich machen konnte. Meinen Eltern war es trotzdem wichtig, dass ich meinen eigenen Weg finde, dass ich selbst wählen und entscheiden kann, ob und an welchen Gott ich glaube.
Auch wenn mich ihre Haltung und ihre frühzeitigen Austritte aus der Kirche geprägt haben, bin ich meinen Eltern noch heute dankbar dafür, dass ich meine vielen inneren Kämpfe selbst ausfechten musste. Sie wollten mir nie ihre Gedanken überstülpen, und es war ihnen wichtig, dass ich mich mit Religion und Kirche auseinandersetze.
Keine Spiritualität in der Familie - aber Religionsunterricht
Ich hatte keine Wahl, ob ich - wie es in meiner Heimatstadt üblich war - am Religionsunterricht in der Schule teilnehmen wollte, denn meine Eltern bestanden schlicht darauf. Ich war auch bald ein regelmäßiger Gast im Spielkreis der evangelischen Gemeinde in meinem Stadtteil. Schließlich hatte meine beste Freundin mir so viele tolle Geschichten davon erzählt. Gott war also kein Tabuthema. Dafür wurde in meiner Familie einfach keine Spiritualität gelebt.
Während meiner späteren Schulzeit habe ich mich stark politisch engagiert. Ich wusste scheinbar genau, wofür und wogegen ich war. Und mal im Ernst: Mit Gott hat eine Schülerzeitung, das Malen von Transparenten und der Kampf gegen Atomwaffen ja wohl herzlich wenig zu tun, oder? Kirche war uncool, Gott eine Glaubenssache, und für solche vagen Dinge hatte ich einfach keine Zeit.
Religion war etwas für Spießer, für die auf der anderen Seite. Ich fand viele Argumente gegen Gott, die ich mit großer Emotionalität hinausposaunte. Manchmal beschlich mich freilich das Gefühl, eine Verräterin zu sein, als würde ich Teile in mir selbst verraten. Ich trug eine große Sehnsucht in mir, von der ich ahnte, dass sie mit Gott zu tun hat, die ich aber nicht zulassen wollte.
Lange sagte mir mein politisches Bewusstsein, eigenständiges Denken stehe im absoluten Gegensatz zum Glauben. Doch in diesen Jahren habe ich ein Brodeln in mir wahrgenommen, ohne es genau fassen zu können. Ich habe meine ganzen Energien für das Außen genutzt und kaum für mein Innenleben.
Geburt und Sinnsuche
Ein besonderer Schritt zu mir selbst und in meine Seele war die Geburt meines Sohnes, die mir große Liebe brachte - und viel inneren Aufruhr. Ich begann mein Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten, nach einem Sinn zu suchen. Das geschah zunächst unbewusst. Es drang mir langsam unter die Haut und in meine Gedanken. Ich wollte meine Sehnsucht stillen, wollte ankommen. Aber wo? Was fehlte in meinem Leben, wie konnte ich mir selbst nahe kommen?
Der spirituelle Markt, das religiöse Angebot ist unüberschaubar groß, wenn man auf der Suche nach dem Einen ist. Ich verschlang Bücher, besuchte Kirchen und Informationsveranstaltungen, versuchte mir einen Weg durch den Dschungel zu bahnen.
In meinem Bekanntenkreis wimmelte es auf einmal von Theologen, Buddhisten, Freikirchlern und vielen anders ausgerichteten Menschen, mit denen ich vielfältige Diskussionen und Erlebnisse teilte. Mal fühlte ich mich zu einer Seite hingezogen, mal verzauberten mich andere Bilder. Es wurde nicht einfacher, stattdessen immer unüberschaubarer. Wenn ich nicht tief in mir drinnen immer dieses Gefühl gehabt hätte, dass das, was ich suche, schlicht Gott heißt.
Als mir das klar wurde, versuchte ich, Beweise für Gott zu suchen. Wo kann ich ihn finden, wie kann ich ihn spüren, was macht mich sicher, dass es ihn gibt? Wie kann ich eine Verbindung mit ihm eingehen, wie kann ich mein Gesicht wahren, wenn sich für mich herausstellt, dass ich mich geirrt habe? Ich wollte so gern eine Entscheidung.
Im Verlust zu Gott gefunden
Langsam überkam mich das Gefühl, das ich nur zur Ruhe kommen kann, wenn ich auf mein Herz höre. Auch dieses Gefühl zog sich lange Zeit hin. Bis etwas Entscheidendes passierte, das sich fest in mir verankert hat: Ein plötzlicher, unerwarteter Verlust warf mich vor einigen Jahren komplett aus meiner Bahn. Ich, die bodenständige Maja, verlor den Boden unter Füßen. Wochenlang war das Atmen schwer, mein Körper trieb Schabernack mit mir, meine Emotionen fuhren Achterbahn. Ich hatte keine Kontrolle über mich und war erfüllt von panischer Angst, mich selbst zu verlieren.
Ohne in diesen Wochen bewusst an Gott zu denken, war er auf einmal gegenwärtig. Mein Gott, das Gefühl, das ich mir unter Gott vorstelle. Tiefes Vertrauen, dass ich nicht tiefer fallen kann als in die schützenden Hände einer liebenden Macht. Diese Gewissheit, die mit einer Selbstverständlichkeit mitten in meine Schwärze trat, hat mich nachhaltig berührt. So kurz der gefühlte Moment auch war, ich konnte ihn nicht vergessen.
Getragen von diesem Erlebnis entschied ich kurzerhand, nicht mehr zu suchen und das Thema aufzuschieben. Ich hörte auf mein Bauchgefühl und verabredete einen Termin für ein Taufgespräch mit einem Pastor aus meiner Lieblingsgemeinde. Die hatte ich tatsächlich schon vorher - Gott muss nicht auf mich zukommen, ich kann ihn aber eintreten lassen.
Die Freunde reagieren ganz unterschiedlich
Beim ersten von insgesamt fünf Gesprächen las mir der Pastor die Geschichte von Jakob am Jabbok vor. Dann ging alles ganz schnell. Wider Erwarten fand ich sehr schnell als Taufspruch Jakobs Satz im Morgengrauen ("Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn") und wir vereinbarten einen Termin während eines Gottesdienstes im Oktober 2009.
Meine Freunde und Familie haben so unterschiedlich reagiert, wie sie selbst sind. Von Unverständnis über Mitfreuen und sogar Wut war alles vertreten. Trotzdem waren an meinem großen Tag alle in der Kirche versammelt und feierten mit mir mein Bekenntnis.
Mein Leben hat sich nicht sonderlich geändert, seit ich diesen Schritt gegangen bin. Schon auf meinem Weg war ich regelmäßig in der Kirche und habe immer mal wieder in der Bibel gelesen. Ich bin gelassener, jedoch nicht ohne Zweifel. Ich bewege mich auch jetzt noch zwischen Nähe und Abstand zu Gott. Aber ich weiß: Ich bin diejenige, die diesen Zustand verursacht, und ich kann auch nur in mir suchen. Ich genieße Nähe in Stille und Gebet, aber auch mit Schmunzeln bei großen Events und im Supermarkt an der Kasse. Ich bin diejenige, die ringt, und ich bin es, die Nähe zulassen kann. Er ist einfach da.
Maja Singer ist Krankenschwester in Norddeutschland. Ihren Namen haben wir auf ihren Wunsch geändert.