Der Prinz, der Pfarrer und die Protestanten

Der Prinz, der Pfarrer und die Protestanten
Ein Erbe der Geschichte mit ihrer engen Verbindung zwischen Kirche und Staat: In einigen Teilen Deutschlands gibt es noch heute Patronatspfarreien – also Kirchengemeinden, die unter der Schirmherrschaft von Adligen stehen. Diese haben seit Jahrhunderten festgelegte Rechte und Pflichten gegenüber Pfarrer und Gemeinde. Sind Patronatskirchen ein Relikt des Feudalismus oder taugen sie als Modell für die Gegenwart? Unser Autor ist in den Odenwald gereist, um dort einen Patron in "seiner" Kirche zu sprechen – und traf auf den Cousin von Prinz Charles.
28.02.2012
Von Martin Rothe

Es war einmal eine dunkle Zeit, da sank der Westen des Römerreichs in Trümmer, erobert von den Stämmen der Germanen. Doch deren Fürsten und Könige, eher Bandenoberhäupter im Vergleich zu den glanzvollen Herrschern in Byzanz, nahmen einer nach dem anderen den christlichen Glauben des alten Reiches an. Und ihr ganzes Volk tat es ihnen gleich. Denn die Germanenkönige vereinten in sich die Funktion des Heerführers und des Hohenpriesters, der "die gesamte Verantwortung gegenüber den übernatürlichen Kräften" trug, so der französische Mittelalterhistoriker Georges Duby. Diese dem Evangelium eher fremde Vorstellung brachten die Germanen in die Kirchengeschichte ein.

Doch nicht nur das: So wie die Germanenfürsten jeweils ihren Privattempel und einige Hauspriester hatten, entwickelte sich auch im Frankenreich ein sogenanntes Eigenkirchenwesen. Nicht nur die fränkischen Könige hatten ihre Palastkapelle, sondern auch ihre Edlen, die in den Winkeln des Reiches zunehmend eigenmächtig agierten. Sie waren die Herren über Grund und Boden und übten über die Bauern auch die geistliche Leitungsgewalt aus. Sie ließen aus eigenen Mitteln Kirchen errichten und ausstatten. Sie stifteten Land für deren Unterhalt – nicht zuletzt zur Versorgung von Priestern, die auf der "Pfründe" selbst den Pflug ziehen mussten, um sich zu ernähren.

Eine lukrative Geldanlage

Diese Eigenpriester waren von den Grundherren ausgewählt worden, sie waren ihnen rechtlich untergeordnet und hatten ihnen den Zehnten abzuführen. So brachte die Stiftung von Eigenkirchen dem Adel nicht nur religiöse Verdienste, sondern stellte auch eine lukrative Geldanlage dar. Die Christianisierung Mitteleuropas wäre ohne das Eigenkirchenwesen so nicht möglich gewesen, schreibt der Kirchenhistoriker Wolf-Dieter Hauschild. Die Bischöfe allein hatten nicht die materiellen Möglichkeiten, in diesem Umfang Kirchen zu errichten und Pfarreien aufzubauen. So waren zur Zeit Karls des Großen fast alle Pfarrkirchen im Besitz von Grundherren.

Dieser Einfluss eigenmächtiger und religiös kaum gebildeter Laien in der Kirche war den reformfreudigen Klerikern zunehmend ein Dorn im Auge. Und so stutzten die Päpste des 11. Jahrhunderts den frühmittelalterlichen Wildwuchs des Eigenkirchentums zu jenem Patronatswesen zurecht, das in manchen Kirchengemeinden Deutschlands mit einigen Anpassungen bis in die Gegenwart überlebt hat. Auch in evangelischen Landen. Noch heute gibt es Grundherren oder "Herren von Stand", beispielsweise Erben eines Grafen- oder Fürstentitels, die Schirmherr über eine oder mehrere Kirchengemeinden sind. Mit einigen Privilegien, vor allem aber auch Verpflichtungen.

So erwarten die Gemeinden von ihren Patronen, dass sie sich an der Finanzierung der Kirchengebäude und ihrer Ausstattung beteiligen, regelmäßig selbst in Erscheinung treten und ein offenes Ohr für Bitten und Beschwerden haben. Im Gegenzug haben die Patronsherren das "Präsentationsrecht", wenn es darum geht, die Pfarrstelle "ihrer" Gemeinde neu zu besetzen: Sie dürfen der Kirchenleitung und den Gemeindeältesten Kandidaten zur Auswahl vorschlagen. Was wie ein Relikt des Feudalismus anmutet, ist zum Beispiel im ländlichen Südwestdeutschland keine Seltenheit. So gibt es in der Evangelischen Kirche in Baden 65 Kirchenpatronate. Besonders viele davon befinden sich im Neckar-Odenwald-Kreis um die Stadt Mosbach.

Der fürstliche Treppentest

An einem sonnigen Tag besteigt eine 74-jährige Großherzogliche Hoheit den Kirchturm des Odenwald-Dorfes Strümpfelbrunn, etwa 25 Kilometer östlich von Heidelberg. Ludwig Prinz von Baden ist von seinem wenige Kilometer entfernten Schloss Zwingenberg am Neckar herübergekommen und testet mit dem evangelischen Pfarrer die neue Holztreppe zum Glockenstuhl. Das Holz dafür hat der Prinz aus seinem benachbarten Privatwald gespendet. Oben angekommen, zeigt ihm der Pfarrer die neuen Glocken, die mit Unterstützung des Patrons bezahlt werden konnten.

Ludwig Prinz von Baden (rechts) mit Pfarrer Andreas Reibold vor der Kirche in Strümpfelbrunn. Im Hintergrund die von der Sonne beschienene Großherzogsglocke, die 1917 vom badischen Großherzog Friedrich II. gestiftet worden war. Der damalige Patronatsherr spendierte auch Glasfenster und ein kostbares Abendmahlsgeschirr.

Patronatsherr der evangelischen Kirchengemeinde Strümpfelbrunn ist nicht der Prinz selbst, sondern sein älterer Bruder, Seine Königliche Hoheit Maximilian Markgraf von Baden. Doch weil dieser im fernen Salem am Bodensee wohnt, kümmert sich Prinz Ludwig um die Angelegenheiten in Strümpfelbrunn. Die beiden Brüder sind Cousins ersten Grades von Prinz Charles - ihre Mutter, Theodora Prinzessin von Griechenland (1906-1969), war Schwester von Prinz Philip, dem Gatten der britischen Königin. Ihr Großvater war Max von Baden, der letzte Kanzler des wilhelminischen Kaiserreiches.

Sein gleichnamiger Enkel auf Schloss Salem ist heute außer für das evangelische Strümpfelbrunn noch für zehn weitere Patronatskirchen zuständig. Diese allerdings sind allesamt katholisch – obwohl der Markgraf selbst Protestant ist. Wie passt das zusammen? "Das Patronat über eine Gemeinde anderer Konfession ist kein Problem: Der Patron hält sich einfach an das jeweilige Kirchenrecht", sagt Prinz Ludwig bei einer Tasse Kaffee im Amtszimmer des Pfarrers. Für seine Familie sei das Patronat über Strümpfelbrunn ein Gewohnheitsrecht geworden. "Man versucht, zweimal im Jahr hier in der Kirche zu sein. Das ist immer eine nette Zusammenkunft."

Wildsäue auf dem Festbüffet

Mit seiner Gattin, einer österreichischen Prinzessin, nimmt er jeweils am 4. Advent an einem Gottesdienst mit anschließendem Essen ein. Auch das alljährliche Herbstfest der Gemeinde bietet Gelegenheit, mit den Strümpfelbrunnern ins Gespräch zu kommen. Das Festbüffet bereichert der Prinz regelmäßig mit selbst gejagten Wildsäuen aus seinem Wald. Die Forstwirtschaft, sagt er, sei sein einziges Einkommen, sein "Ein und Alles".

Ihm am Tisch gegenüber sitzt Pfarrer Andreas Reibold und denkt zurück an das Jahr 1997, als er sich um die Pfarrstelle in Strümpfelbrunn bewarb. Der einschlägigen Verordnung der badischen Landeskirche entsprechend, tat er das beim Patron der Kirchengemeinde. "Ich schickte meine Bewerbung an die Markgräfliche Verwaltung und eine Kopie an den evangelischen Oberkirchenrat in Karlsruhe. Einige Zeit darauf hat mich der Markgraf zu einem Gespräch auf Schloss Zwingenberg eingeladen", erinnert sich der Theologe. Bei seinem Einführungsgottesdienst war dann die Königliche Hoheit persönlich anwesend.

Im Gebet erwähnen muss der Pfarrer den Patronatsherrn nicht. Auch steht für Familie von Baden in dieser Kirche kein Ehrengestühl bereit. Aber das vermisst Prinz Ludwig in keiner Weise, denn "sonst würden die Leute im Gottesdienst immer schauen, wie man sich verhält". Das Gehalt des Patronatspfarrers zahlt die badische Landeskirche. Einmal pro Jahr gibt es eine Konsultation des Landesbischofs mit den Patronatsherren aus seinem Bereich. Nicht wenige der Herrschaften sind kirchlich engagiert, arbeiten im Ältestenkreis oder gar in der Synode mit. Prinz Ludwig war lange Zeit aktiv im Bezirkskirchenrat des Dekanats Mosbach, der Markgraf seinerseits in der badischen Landessynode. Jetzt sitzt dort dessen Tochter. "Alle demokratisch gewählt", betont Prinz Ludwig.

Das System überlebte die Napoleonzeit

Es hat einmal eine Zeit gegeben, das stand das badische Patronatsmodell auf der Kippe: im Zuge der Säkularisation zur Zeit Napoleons. "Als 1803 die geistlichen Herrschaften fielen, überlegte man, die Patronate abzuschaffen", berichtet der Leiter des Landeskirchenarchivs, Udo Wennemuth. "Aber da hätte die Kirche auch die finanziellen Lasten der Patrone übernehmen und diese möglicherweise für die bisherigen Investitionen entschädigen müssen. Und all diese Konsequenzen wollte sie sich nicht ohne Not ans Bein hängen. Deshalb beschloss sie, das System so zu lassen, wenn es gut läuft."

In den 1920er Jahren, nach dem Ende der Adelsherrschaft im Reich, wurde das kirchliche Patronatsrecht noch einmal nachjustiert. In den verbliebenen Patronaten habe es seitdem keine großen Diskussionen darüber gegeben, so Wennemuth: "Es funktioniert gut in Baden. Die Patrone erfüllen ihre Pflichten und die landeskirchlichen Ordnungen gelten hier wie überall. Es gibt bis heute keinen Anlass, daran zu rütteln."

Auch Ludwig Prinz von Baden und Pfarrer Reibold in Strümpfelbrunn können sich an keine Konflikte erinnern. "Es ist günstiger, dieses System beizubehalten", meint der Prinz. "Man kann den Kirchen in jeder Hinsicht helfen. Die Landeskirche kann das ein oder andere Geld sparen. Und wenn die Gemeindemitglieder mit dem Pfarrer unzufrieden sind, haben sie eine Art Ombudsmann: Der Patronatsherr kann versuchen zu vermitteln." Auch Pfarrer Reibold weiß das zu schätzen: "Es ist von Vorteil für uns als Gemeinde, wenn wir neben der Landeskirche noch einen anderen Ansprechpartner haben, den wir um Unterstützung bitten können." Zur Illustration verweist er auf einen Fall aus der Nachbarschaft: In den 1930er Jahren sei ein Patronatspfarrer des Fürstenhauses Löwenstein-Wertheim, der zur Bekennenden Kirche gehörte, in Konflikt mit dem NS-Staat gekommen. Als er gegen Hitler zu predigen wagte, wollte der staatstreue Landesbischof ihn entlassen. Doch der Fürst sprach dem Pfarrer das Vertrauen aus und bezahlte ihn aus eigener Tasche weiter.

In Strümpfelbrunn steht der Sohn von Prinz Ludwig bereit, um dessen Aufgaben eines Tages fortzuführen. Doch habe es, so schränkt der Vater ein, dann keinen Sinn mehr, am Patronat festzuhalten, wenn die Gemeinde es nicht mehr wolle. Doch das hält Pfarrer Reibold für unwahrscheinlich: "In unserem Fall glaube ich zu wissen, dass die Gemeinde das Patronat gern behalten will. Die Leute wissen, was sie daran haben und sind sehr dankbar für den Beitrag der Patronsfamilie." Wahrer Adel habe seit Karl dem Großen das Bewusstsein, dem Volk verpflichtet zu sein. "Das kann ich unterschreiben", sagt der Prinz.


Martin Rothe ist freier Journalist, hat unter anderem Religionsgeschichte studiert und die Evangelische Journalistenschule in Berlin absolviert. Seine Schwerpunktthemen sind Kirche, Islam, Integration und Zivilcourage.